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Kunst Ein Comic wird zum Widerstandssymbol Argentiniens

Die argentinische Graphic-Novel «El Eternauta» – zu Deutsch «der ewige Reisende – prophezeite in den 1950er-Jahren die Zukunft Argentiniens. Nach der Diktatur wurde sie zum nationalen Denkmal – und ist bis heute ein Mahnmal einer blutigen Geschichte. Nun ist das Buch auf Deutsch erschienen.

Juan Salvo sitzt in seinem Haus in einem Vorort von Buenos Aires beim Kartenspiel mit Freunden, als es draussen plötzlich zu schneien beginnt. Der Schnee – stellt sich kurz darauf heraus – ist aber keinesfalls eine verfrühte Winterankündigung. Er ist der Anfang einer Tragödie, die bald ganz Argentinien erfassen wird.

In der Stadt sind Ausserirdische gelandet, die mit giftigem Schnee die Menschen auszurotten versuchen und alsbald Jagd auf die wenigen Überlebenden machen – darunter auch Juan Salvo und seine Freunde. Der Mann verliert seine Familie und macht sich auf die Suche nach ihnen, durch Zeit und Raum, als «Eternauta», als «ewiger Reisender».

Kampf gegen ein gewalttätiges Regime

Die gute Nachricht: Diese Geschichte ist natürlich nicht real, sondern der Anfang von «El Eternauta», einem Comic des argentinischen Künstlers Héctor Germán Oesterheld und dem Zeichner Francisco Solano López aus den 1950er-Jahren. Die schlechte: Sie prägt das Land in trauriger Weise bis heute. Die Geschichte des Eternauta ist zugleich die Geschichte vieler Argentinier – ganz besonders die seines Erschaffers Héctor Oesterheld.

Héctor Oesterwald trägt kurzes Haar und ein Hemd.
Legende: Er taucht ab, um gegen die Militärdiktatur zu kämpfen: «El Eternauta»-Erschaffer Héctor Oesterwald. Privat

Rund 20 Jahre, nachdem er den Comic schrieb, ging er mit seinen vier Töchtern in den Untergrund, um gegen die Militärdiktatur zu kämpfen. Es war, als würde er zum Protagonisten seiner eigenen Geschichte werden, als Kämpfer gegen ein gewalttätiges Regime. Ende der 1970er-Jahre verschwand Oesterheld mitsamt seinen vier Töchtern und rund 30'000 anderen Argentiniern zu der Zeit.

In trauriger Voraussicht

Oesterheld hatte mit «El Eternauta» eine traurige Vorahnung dessen geschaffen, was das Land erwarten würde. Nach der Diktatur wurde der Comic zum nationalen Denkmal: Die Geschichte von Juan Salvo, der für immer auf der Suche nach seiner Familie ist, war zur Geschichte der Argentinier geworden, die nach ihren verschwundenen Verwandten suchten.

Der Verein «Madres de la Plaza de Mayo», die «Mütter des Platzes der Mairevolution», wurde gegründet, eine Organisation argentinischer Frauen, deren Kinder während des Regimes verschwunden waren und die fortan jeden Donnerstag auf dem Platz der Mairevolution in Buenos Aires protestierten. Dazu gehörte auch Elsa Sánchez de Oesterheld, die Frau von Héctor.

Ein Comic zeigt einen Mann mit Schutzanzug und Taucherbrille. Das Bild ist grün und gelb.
Legende: Ein Symbol für Solidarität und Menschlichkeit: Ausschnitt aus «El Eternauta». avant verlag

Plakate von «El Eternauta» als Plädoyer für die Menschlichkeit

«El Eternauta» tauchte derweil immer öfter im Stadtbild auf. Der grosse Mann in Schutzanzug und Taucherbrille, der mit einem Gewehr bewaffnet durch Schnee stampft, wurde auf Plakate und Wände gemalt, in Demonstrationen als Plädoyer für Menschlichkeit und Solidarität eingesetzt. Ein Platz in einem Park in Buenos Aires ist nach den Oesterhelds benannt, in einer U-Bahn-Station hängt ein grosses Mosaik des Eternauta.

Der einsame Kämpfer ist Teil des nationalen Bewusstseins geworden. An der sozialen Ungerechtigkeit im Land hat sich trotzdem wenig geändert. Noch immer leidet Argentinien unter den Konsequenzen seiner blutigen Geschichte. Wie Héctor Oesterhelds Weg endete, weiss man nicht. Sein Körper wurde nie gefunden.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 20.1.2016, 17:45 Uhr.

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