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Hans Ulrich Obrist: «Ein Leben in progress»
Aus Kultur-Aktualität vom 25.03.2024. Bild: Getty Images/Dave Benett
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Hans Ulrich Obrist Seine Kunst-Karriere gibt's nur dank Kaffee en masse

Der Schweizer Star-Kurator legt seine Memoiren vor. Ein atemloser Bericht über seine Karriere – mit einem Dauerregen prominenter Namen.

Der Titel legt die Marschrichtung vor: «Ein Leben in progress»: Das klingt nach «work in progress», einer Arbeit, die noch nicht abgeschlossen ist. Klar: Obrist ist 55, da kann noch einiges kommen. Bei «work in progress» liegt aber auch der Gedanke an ein kreatives Werk nahe. Der Kurator als Kunstwerk? Ein Gedanke, der Hans Ulrich Obrist sicher nicht ganz fremd ist.

Sein Buch beginnt mit den Worten: «Mai 1968. In diesem Monat wurde ich geboren. In einem derart symbolträchtigen Monat auf die Welt zu kommen, ist eine erste Wegmarke meines Lebens, vielleicht sogar ein Zeichen.»

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Aus Archiv: «Zusammen Zeichnen» im Museum im Bellpark
Aus Tagesschau vom 14.05.2022.
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Dieser Einstieg macht klar: Falsche Bescheidenheit ist nicht sein Ding. Die folgenden 240 Seiten bestätigen diesen Eindruck. Obrist feiert Obrist. Und das in atemlosem Tempo. Da bleibt einem sogar beim Lesen manchmal die Luft weg.

Vom Kleinstadtjungen zum Kosmopoliten

Die Obrist-Story beginnt in Weinfelden am Bodensee. Die Mutter ist Grundschullehrerin. Der Vater Rechnungsprüfer. Man lebt gut, aber bescheiden. Kultur steht bei Familie Obrist nicht auf dem Speiseplan. Ein bisschen Mystik aber schon.

Mutter Obrist kauft Aion A, ein Präparat, das die Künstlerin Emma Kunz als Heilmittel entdeckt haben will. Sie verabreicht es ihren Pflanzen – und ihrem Sohn. Der Sohn erinnert sich später vor allem an die Verpackung, auf der eine Zeichnung von Emma Kunz zu sehen war.

Obrist mit verschränkten Händen vor einem Museumsraum.
Legende: Stolz präsentiert sich der noch junge Obrist 2003 im Musee d'Art moderne. Seit 1993 war er in dem Pariser Museum als Kurator tätig. KEYSTONE/Martin Ruetschi

Der junge Obrist begeistert sich nicht nur für Kunst. Auch für Sprachen. Er will raus in die grosse Welt der Kunst und Bedeutung! Er lernt Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Russisch. Seine Autobiografie hat er auf Französisch geschrieben. Was er uns damit sagen will? Dass er’s geschafft hat, vom Kleinstadtjungen zum Kosmopoliten zu werden.

Die Kaffee-Kur

Bekannt wurde Obrist mit seinen Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern. Begonnen hat er damit bereits als Gymnasiast. Er schreibt, er habe zwischen 1987 und 1992 in Nachtzügen gelebt – tagsüber war er in Paris, Wien oder Mailand unterwegs, um Kunstschaffende in ihren Ateliers zu treffen. Er hat in dieser Zeit beschlossen, weniger zu schlafen und mehr Kaffee zu trinken. Nach dem Vorbild von Balzac, der 50 Tassen Kaffee am Tag getrunken haben soll.

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Aus dem Archiv: Unterwegs mit Hans Ulrich Obrist
Aus Kulturplatz vom 24.10.2007.
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In kurzen Kapiteln rast Obrist durch die Kunstwelt. Er beginnt, Ausstellungen zu machen: ganz kleine in Küche und Hotelzimmer, aber auch ganz grosse an Festivals und Biennalen. Überall trifft er Künstler, Kuratorinnen, Autoren, Denkerinnen. Beim Lesen wähnt man sich unter einem sanften Dauerregen prominenter Namen.

Momente der Sprachlosigkeit

Die Kunst kommt dabei eher zu kurz. Mehrfach betont Obrist, dass Kunst für ihn Heilung sei und Hoffnung. Also etwas Höheres, Quasi-Religiöses. Er erwähnt Gespräche, Gedanken, Konzepte: Kunst und Globalisierung. Kunst und Publikum. Kunst und Ökologie. Aber: Alles wird relativ rasch abgehandelt. Obrist ist immer in Eile. Es warten ja viele weitere mögliche wichtige Kontakte und Projekte.

Wenn Obrist doch mal eine kleine Atempause macht, dann wird es manchmal äusserst amüsant. Zum Beispiel, wenn er über seinen Besuch bei Hans Georg Gadamer erzählt. Der Philosoph war damals 99 Jahre alt und schlief während des Gesprächs ein.

Obrist war ratlos und verwirrt. Ein Telefonklingeln weckte Gadamer, der den Anrufer kurz abfertigte und dann zu Obrist sagte: «Es wird Ihnen sehr schwerfallen, eine Transkription meines Schweigens zu erstellen.»

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 25.3.2023, 17:10 Uhr.

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