- Schweizer Künstlerinnen und Künstler wie Martha Cunz oder Cuno Amiet liessen sich von farbigen Holzschnitten aus Japan inspirieren.
- Die japanischen Holzschnitte offenbarten den westlichen Künstlern einen neuen Blick auf die Welt.
- Die Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn vereint Schweizer Werke und japanische Holzschnitte.
Paris, wir schreiben das Jahr 1867: Zum ersten Mal ist Japan bei einer Weltausstellung vertreten. Die Waren sorgen in der westlichen Welt für Furore: Fortan sind japanische Kunst, japanische Mode, japanische Möbel, ja, japanisches Handwerk gefragt.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verfällt die westliche Welt in eine unglaubliche Begeisterung für alles, was irgendwie mit Japan zu tun hat. Westliche Künstler sind vor allem von den japanischen Holzschnitten beeindruckt, die sich stark von ihrer Kunst mit der Zentralperspektive unterscheiden.
Wenn sich die Welle über den Booten auftürmt
Solothurn, wir schreiben das Jahr 2017: Die Ausstellung im Kunstmuseum thematisiert, wie gross der japanische Einfluss auf die Schweizer Künstler tatsächlich war. Die Schau vereint Schweizer Werke mit farbigen Holzschnitten aus Japan.
Wie zum Beispiel «Die grosse Welle» von Hokusai, ein ikonisches Bild. Riesig türmt sich die Welle über den Booten auf, die Gischt spritzt. Fast können wir das Brausen des Sturmes hören – so plastisch wirkt diese Szene.
Eine andere Art, die Welt zu sehen
Dabei sind die Details nicht naturgetreu abgebildet. Der Schaum besteht aus abstrakten weissen Flächen, die Spitzen der Wellen kringeln sich in wiederkehrenden Ornamenten. Für eine Arbeit aus dem Jahr 1830 wirkt Hokusais Welle unglaublich modern.
Die japanischen Farbholzschnitte des frühen 19. Jahrhunderts offenbarten einen neuen Blick auf die Welt, sagt Kuratorin Patricia Bieder. «Einen Blick, den die westlichen Künstler nicht kannten.» Das erkläre, wieso sie so fasziniert waren von den Werken.
Im Stil eines japanischen Siegels
Wie dieser «neue Blick» Schweizer und andere westliche Künstler anfangs des
20. Jahrhunderts beeinflusst hat, zeigt die Ausstellung anhand vieler eindrücklicher Beispiele.
Bemerkenswert ist der Raum, in dem die Kuratoren Patricia Bieder und Robin Byland Tierdarstellungen versammelt haben. Hier ist der Einfluss der japanischen Druckgrafik unverkennbar.
1909 bildete die Künstlerin Martha Cunz eine zusammengerollte Eidechse und einen Marienkäfer auf einem sonst fast leeren Blatt ab. Nur am Bildrand prangt, ganz im Stil eines japanischen Siegels, ein Rechteck mit ihren Initialen.
Präzise und komplex
Die Präzision vieler Arbeiten ist beeindruckend. Umso mehr, wenn man bedenkt, mit wie vielen einzelnen Platten die Farbschichten aufgetragen worden sind. Wie viele Arbeitsschritte das wohl gewesen sein müssen?
Davon zeugen die Druckstöcke, die in der Ausstellung ebenfalls zu sehen sind. Natürlich gehe es in erster Linie um die Wirkung der Holzschnitte, sagt Kurator Robin Byland. «Dennoch wollten wir einen Einblick in die technischen Arbeitsschritte vermitteln, die für solche Farbholzschnitte nötig sind.»
Der Schweizer, der im Geiste ein Japaner ist
Welch unterschiedliche Effekte sich mit der Drucktechnik erzielen lassen, ist verblüffend. Einige der Arbeiten wirken, als wäre ein Pinsel aufs Papier getupft worden. Andere Werke sind extrem reduziert, fast schon abstrakt.
Wie die Blätter des Solothurner Künstlers Oskar Tröndle, der eine Fledermaus, ein Spinnennetz oder eine Schnecke prominent in Szene setzt. Für Kuratorin Patricia Bieder hat der Künstler die totale Harmonie in der Natur gesucht und gefunden: «Das macht ihn zu einem Japaner im Geiste.»
Ein ockerfarbener Berg und ein gelber Hügel
Die weiteren Räume der Ausstellung sind maritimen Szenen und Landschaften gewidmet. Um den «japanischen Blick » der Künstler zu veranschaulichen, zeigen die Kuratoren hier auch Gemälde und eine Zeichnung.
Auffallend ist eine Arbeit des Schweizer Malers Cuno Amiet von 1903. «Der Gelbe Hügel » wirkt mit seinen leuchtenden Farben zwar ganz anders als die Holzschnittarbeiten. Trotzdem sind die Parallelen zur japanischen Kunst unverkennbar.
Zum Beispiel, wenn wir in der Ausstellung Hokusais «Mount Fuji» ansehen. Hier der ockerfarbene Berg, dort der gelbe Hügel – beide kegelförmig oder wie Kuratorin Patricia Bieder sagt: «Es scheint, als wäre der gelbe Hügel ein Schweizer Mount Fuji.»
Öfter durch die japanische Brille schauen
Das mag übertrieben klingen. Aber die lohnende Ausstellung zeigt tatsächlich grosse Parallelen zwischen den Arbeiten auf. Die Schau schärft den Blick für Zusammenhänge jenseits der Gattungseinteilungen – und macht so Lust darauf, auch andere Werke, etwa solche der Klassischen Moderne, zur Abwechslung mal durch eine «japanische Brille» zu betrachten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 15.08.2017, 7:20 Uhr