Kunst boomt und Kunstraub ebenso. Steigende Preise und wachsendes Prestige faszinieren nicht nur seriöse Sammler, sondern locken auch Kriminelle, sagt Kunsthistoriker Oliver Class: «Die Statistik zeigt, dass die Kriminalität, die mit Kunst zu tun hat, heute im oberen Bereich der Top Ten der verschiedenen Deliktarten liegt.»
Was soll ich damit?
Oliver Class arbeitet als Kunstsachverständiger für die Allianz Suisse und kennt sich mit entwendeten Kunstwerken aus. Der Grossteil der Kunstdiebstähle finde nicht in bekannten Museen statt, sondern betreffe private Sammlungen, so Oliver Class. In die Medien kämen nur die spektakulären Fälle.
Habe der Täter ein bekanntes Werk geraubt, werde es allerdings schwierig, dieses weiterzugeben. «Sie können die Dinge in der Regel selbst über Hehler nicht losschlagen, weil der Hehler sagt: ‹Was soll ich damit?›»
Eine Mutprobe
Die Formel «Ich stehle, um Geld zu machen» funktioniert beim Kunstklauen nicht. Was treibt Kriminelle in Kunstmuseen und Ausstellungshäuser? Der sportliche Ehrgeiz, das Sicherheitssystem zu überlisten?
Es gebe eine Theorie von sogenannten Impulstaten, so Oliver Class. «Kriminelle suchen sich eine besonders schwierige Tat, die in eigenen Kreisen als prestigeträchtig gilt. Ein grosses Museum auszurauben, ist natürlich eine eher schwierige Sache und unterscheidet sich vom Einbruch im Einfamilienhaus.»
Kunstraub ist also auch so etwas wie eine Demonstration der kriminellen Potenz. So ähnlich sieht es auch Olivier Moeschler, Kultursoziologe an der Universität Lausanne.
«Der Dieb an sich hat in unserer Kultur durchaus ein positives Image. Dieses positive Bild gilt aber nicht für den Taschendieb, sondern für den trickreichen, intelligenten Connaisseur, der das System kennt und austrickst», sagt Moeschler.
Connaisseur und Systemsprenger
Der Kultursoziologe verweist auf den fiktiven Meisterdieb Arsène Lupin, der in Frankreich sehr populär ist. Im Kunstraub potenziert sich die heimliche Bewunderung für den schlauen Dieb. Denn Kunst diene immer auch der gesellschaftlichen Abgrenzung.
«Kunstraub ist ein Mittel, um sich an den Wohlsituierten zu rächen – und das nicht nur in materieller Weise. Kunst ist eine der letzten Domänen des Religiösen in unserer Gesellschaft. Wer Kunst besitzt, der berührt das Göttliche», so Moeschler.
Der Experte sieht noch einen anderen Grund für das grosse Interesse an realen und fiktiven Kunstraubgeschichten.
Kunst sei in den letzten Jahrzehnten immer komplizierter geworden. «Die Malerei zum Beispiel gibt sich eigene Regeln. Für viele Menschen ist zeitgenössische Kunst schlicht unverständlich. In grossen Kunstraubfällen – sei es in der Realität oder im Film – geht es nie um komplizierte Installationen, sondern um bekannte Gemälde und Skulpturen, um Kunstwerke, die man auch ausserhalb der Kunstwelt kennt und schätzt», sagt Moeschler.
Das hat für manche Filmzuschauerin und manchen Zeitungsleser etwas Beruhigendes. Es zeigt: Die alten Werte gelten noch.