Es ist ein bewegtes Bild. In der Eingangshalle des Kulturzentrums «104» geben Jugendliche ihre Breakdance-Künste zum Besten.
Früher ein Bestattungsunternehmen, ist das «104» heute ein lebendiger Ort, wo der Pariser Bourgeois auf den Typen aus der Banlieue trifft – und wo seit 2011 jährlich das «Circulation(s)», ein Festival für junge europäische Fotografie stattfindet.
51 Künstler sind dieses Jahr geladen und stellen ihre Werke aus – unter ihnen auch vier Schweizer.
Das Weltgeschehen im Fokus
Von dokumentarisch bis plastisch, von humorvoll oder ernst – die Auswahl des Festivals ist breit. Für Marion Hislen, Direktorin der Festivals, ist die Vielfalt «eine bewusste künstlerische Entscheidung, um ein möglichst breites Spektrum zu zeigen.»
Doch auch in der grossen Vielfalt fällt Marion Hislen eine Tendenz auf: «Die Fotos sind in diesem Jahr politischer geworden. Sie kommentieren das, was um sie herum geschieht. Sie kritisieren das Weltgeschehen.»
Hier deshalb eine Auswahl an jungen Fotografen, die die Welt aus einem spannenden Winkel zeigen – mal mit Augenzwinkern, mal mit ernsten Blick, immer mit Botschaft.
1. Ludovica Bastianini: «In your place»
Was, wenn Ihr minderjähriges Kind verheiratet würde? Diese Frage stellte sich die italienische Fotografin Ludovica Bastianini für ihr Projekt «In your place». Sie hat junge Mädchen in westlichen Modezeitschriften fotografiert – und mit Spitze aus der Garderobe ihrer Mutter versetzt.
«In your place» zeigt, was man nicht sehen will. Das Projekt ist ein politisches Statement, das eine ernste Tatsache in Erinnerung ruft: Denn weltweit werden über 13 Millionen Mädchen zwangsverheiratet.
2. Michele Borzoni: «Looking for a job»
Um fit für den Arbeitsmarkt zu sein, braucht es heutzutage fast schon übermenschliche Kräfte. In Italien ist die Situation besonders hart. Über 3‘000‘000 Arbeitslose zählt das Land.
Das Ziel vieler Italiener ist deshalb ein Job bei der Regierung. Die beliebten Plätze sind aber rar. Das Rennen um die sicheren Jobs zeigt der italienische Fotograf Michele Borzoni in «Looking for a Job» – ein kritischer Kommentar auf die Arbeitswelt.
3. Stéphane Winter: «Die Winter»
Im Kontext des Weltgeschehens werde seine Geschichte als eine schöne Integrationsgeschichte gedeutet, sagt Stéphane Winter. Doch der Westschweizer, der als 1-Jähriger aus Südkorea von zwei Schweizern adoptiert wurde, sieht in seinen Fotos jedoch vorallem die «positive Geschichte einer ganz normalen Familie».
Sein Projekt «Die Winter» ist eine Art unkonventionelles Familienalbum, das er mit 14 Jahren begonnen hat. Ein schräges, intimes Porträt einer Familie des 20. Jahrhunderts.
Stéphane Winters Fotos sind auch in der Schweiz zu sehen. Ab 7. April 2017 in der Coalmine in Winterthur.
4. Frédérique Bretin: «Je suis morte à Auschwitz et personne ne le voit»
Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ist ein sichtbares Mahnmal des Holocaust. Doch statt das Offensichtliche zu fotografieren, hat die Französin Frédérique Bretin ein anderes Sujet gewählt: die Moorgebiete, wo während des Zweiten Weltkriegs die Überreste der Opfer des Konzentrationslagers verstreut wurden. Eine Fotografin, die da hinschaut, wo die meisten nicht mehr als Moor sehen.
5. Alan Knox: «Universal Sympathy»
Himmlisch sind die Fotos von Alan Knox auf den ersten Blick. Schnell kehrt man jedoch auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn man erfährt, wie die Werke entstanden sind: Denn was wie Sternenstaub aussieht, ist die Asche seines verstorbenen Grossvaters. Der 21-jährige Brite hat aus seinen Überresten Kunst gemacht. «Universal Sympathy» ist ein bewegendes Projekt – eine packende Momentaufnahme der Endlichkeit.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 8.2.2017, 16.50 Uhr.