«Dieses Werk ist ein Wunderwerk der modernen Kunst», schwärmt Sam Keller. Seit der Direktor der Fondation Beyeler das Werk gesehen habe, habe er es unbedingt zeigen wollen.
Namen aus Sand und Wasser
Dabei wirkt das Wunderwerk auf den ersten Blick dezent. Auf dem Boden des Saales stehen Namen. Einige sind dunkel, halb in den Steinplatten des Bodens verschwindend. Andere sind hell, transparent und glänzend. Die dunklere Schrift ist mit Sand in die porösen Steinplatten eingelassen.
Die transparenten Schriftzüge bestehen aus Wasser, das mit feinen Düsen durch die groben Poren der Bodenplatten gepumpt wird. Diese Namen erscheinen wie von Geisterhand geschrieben und versickern dann langsam wieder.
Die Zahlen erhalten Namen
Die Namen gehören Menschen, die meist nur als Zahlen auftauchen. Dann, wenn in den Nachrichten wieder von einem Flüchtlingsboot gesprochen wird, das im Mittelmeer gekentert ist. Zwischen 2013 und 2017 sind über 15'000 Menschen auf der Flucht ertrunken.
Mit ihrer komplizierten Technik ruft die Installation diese Menschen in Erinnerung. Das sei die Idee hinter diesem Werk der Künstlerin Doris Salcedo, sagt Sam Keller: «Sie hat gesagt, sie habe das Bild einer weinenden Erde vor sich gehabt, welche die Namen dieser namenlosen Vergessenen in Erinnerung ruft.»
Schwierige Suche nach Namen
Die kolumbianische Künstlerin Doris Salcedo beschäftigt sich seit langem mit den Themen Migration und Gewalt. Die Namen der Verstorbenen herauszufinden, sei schwierig gewesen. «Die EU und viele andere Organisationen lehnten meine Anfrage ab. Sie fanden es ungewöhnlich, dass sich eine Kolumbianerin für diese Fragen interessiert», sagt Salcedo.
Doris Salcedo suchte andere Auskunftsquellen. Sie kontaktierte Journalistinnen und Journalisten grosser Zeitungen, die ihr halfen.
«In Zeitungen fand ich Daten zu den Bootsunglücken und deutsche Hilfsorganisationen für Migrantinnen und Migranten haben mich bei meinen Recherchen unterstützt», sagt Salcedo. Zudem habe sie Leichenschauhäuser und Friedhöfe in Italien, Spanien und Griechenland besucht.
171 von 15'000
Auf diese Weise recherchierte Doris Salcedo in sechs Jahren 300 Namen von verstorbenen Geflüchteten. 171 von ihnen sind in der Installation in Basel zu lesen. Die dunklen Namen, die mit Sand in den Stein geschrieben sind, gehören zu Menschen, die vor 2010 gestorben sind. Die hellen Namen aus Wasser zu Menschen, die zwischen 2011 und 2016 gestorben sind.
Doris Salcedo möchte mit ihrer Installation an unser selektives Erinnerungsvermögen rühren, das Unschönes gern ausblendet. Und sie möchte in Erinnerung rufen, dass Migration ein wichtiges und immer wichtiger werdendes Thema ist.
Migration sei ganz klar mit der Klimakrise verbunden, sagt Salcedo. «Zurzeit sind etwa eine Milliarde Menschen weltweit auf der Flucht. Über Migration nachzudenken bedeutet, über die Menschheit nachzudenken.»
Doris Salcedo hat sich intensiv mit dem Thema Migration beschäftigt. Das ist ihrer Arbeit anzumerken, die zwar sehr klar und minimalistisch aussieht, dabei aber auch sehr berührend wirkt.