Böse Zungen behaupten, Yayoi Kusama sei vor allem deshalb so populär, weil ihre Arbeiten so Social-Media-tauglich seien. Bunte Punkte – auf Englisch «Polka Dots» – als flächendeckende Muster auf Wänden, Kleidern, schlangenförmigen Gebilden sind ihr Markenzeichen. Eine Art visuelles Bällebad für Kunstsinnige. Farbenfroh und mit hohem Wiedererkennungswert.
Tatsächlich grüssen die «Polka Dots» in der Fondation Beyeler gleich im Eingangsbereich: Im Seerosenbecken schwimmen silberne Kugeln. Kusama schuf sie erstmals 1966 für die Biennale Venedig. Nicht als offiziell eingeladene Künstlerin, sondern in einem Akt der Selbstermächtigung.
Mehr Wow-Effekt geht nicht
Schräg hinter den silbernen Kugeln im Wasserbecken steht eine verspiegelte Box: Einer von gleich zwei Infinity-Mirror-Rooms. Das sind rundum verspiegelte Räume, in die zum Beispiel farbige Lichter integriert sind. Durch die Spiegel an Wänden, Boden, Decke entsteht ein unendlicher Raum, in dem man das Gefühl bekommt, in einem Universum voll bunter Sterne zu schweben. Das ist wahrlich Kunst zum Eintauchen.
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Bild 1 von 3. Silberkugeln im Seerosenteich: Die Installation «Narcissus Garden» der Künstlerin Yayoi Kusama begrüsst im Garten der Fondation Beyeler. Bildquelle: Keystone/EPA/ANDREAS BECKER.
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Bild 2 von 3. Gleich daneben: Kusamas «Infinity Mirrored Room» – aussen ein Spiegelwürfel aus poliertem Edelstahl …. Bildquelle: Keystone/EPA/ANDREAS BECKER.
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Bild 3 von 3. … und innen ein psychedelisches Spielkabinett mit farbigen Acryl-Blasen und Blick auf die Hereinschauenden. Bildquelle: Keystone/EPA/ANDREAS BECKER.
Der britische «Guardian» kürte Yayoi Kusama zur beliebtesten Künstlerin der Welt. Doch bekanntlich hat alles seinen Preis, auch der Ruhm. Im Fall Kusama bedeutet das: Vor lauter Punkten sieht man das eigentliche Werk nicht. Denn Kusamas «Polka Dots» sind alles andere als ein Riesenspass.
Das Motiv der Tupfen, und auch anderer flächendeckender Muster, geht auf Halluzinationen zurück, die Yayoi Kusama als junges Mädchen hatte.
Kunst als Selbsttherapie
Kunst wurde für Kusama ein Mittel der Befreiung und der Selbsttherapie. 1957 ging sie nach New York, wo sie grosse Erfolge feierte. Trotzdem kehrte sie 1972 zurück nach Japan, wo sie seither in einer psychiatrischen Klinik lebt – auf eigenen Wunsch.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler feiert Yayoi Kusama als sensiblen Superstar. Sie zeigt 300 Werke aus sieben Jahrzehnten. Viele Arbeiten in der Schau wirken sehr düster und beklemmend.
In den 1950er-Jahren entstanden Ölgemälde in rot-braunen Farben, die wie Blicke in ein düsteres Körperinneres wirken. Aus den 1970er-Jahren stammen surreal wirkende Bild-Collagen, die teils alptraumartige Qualitäten haben. Überall in der Ausstellung begegnet man Werken, denen anzusehen ist, dass eine Künstlerin mit tiefen seelische Wunden dahintersteht.
Seelenpein und Selbstmarketing
Das traumatisierte Kind in Yayoi Kusama ist in der Ausstellung greifbar, fühlbar, nachvollziehbar. Weniger sichtbar ist, dass Kusama auch sehr gesellschaftskritisch war. In den 1960er-Jahren veranstaltete sie sexuell aufgeladene Happenings oder politische Protest-Aktionen, bei denen sie zum Beispiel US-Flaggen anzündete.
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Bild 1 von 3. Yayoi Kusamas Punkte machen vor nichts Halt – nicht einmal vor einem Pferd, wie in der Performance «Horse Play» von 1967. Bildquelle: Keystone/AP Photo/Yayoi Kusama Studio Inc.
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Bild 2 von 3. Im gleichen Jahr verziert sie einen jungen Mann bei einem Happening in New York. Sie bemale nackte Körper, um sie schöner zu machen, meint Yayoi Kusama. Bildquelle: Getty Images/Seymour Wally/NY Daily News.
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Bild 3 von 3. Bei einer Ausstellung 1968 in Utrecht bepunktet Kusama einen Mann vollständig. Ein anderer weigert sich, seine Hose auszuziehen. Bildquelle: Getty Images/Keystone Features.
Die Künstlerin wusste, wie man Aufmerksamkeit erlangt. Und sie war sehr geschäftstüchtig: Zeitweilig hatte sie eine eigene Modelinie, die sie auch im New Yorker Warenhaus Bloomingdale's verkaufte.
Seelenpein und Selbstmarketing schliessen einander nicht zwangsläufig aus. Hier könnte die Schau ein wenig mehr zeigen. Trotz dieser Lücken ist sie unbedingt sehenwert, für Kusama-Kennende, aber auch für alle, die sie neu entdecken. Und natürlich für alle, die gern mit dem Handy im Selfie-Modus durch Ausstellungen flanieren.