«Hannah Villiger: Amaze Me» lautet der Titel der Ausstellung im Unterengadiner Muzeum Susch, angelehnt an einen Tagebucheintrag der Künstlerin: «étonne moi» – überrasche, überwältige mich.
«Es ist eigentlich das, was die Arbeiten mit uns Betrachterinnen und Betrachtern machen», sagt Co-Kuratorin Madeleine Schuppli. Gemeinsam mit Yasmin Afshar hat sie im Muzeum Susch die grösste Werkschau Hannah Villigers seit über einem Jahrzehnt zusammengestellt.
Skulpturen aus Polaroids
Hannah Villiger, die gelernte Bildhauerin, bezeichnete ihre Werke als Skulpturen, ihren Körper als «skulpturales Objekt».
«Irgendwie ist sie immer Bildhauerin geblieben», sagt Schuppli. «Sie arbeitet mit dem Material ihres Körpers stark dreidimensional. Sie versucht, die Volumen des Körpers, der Glieder zu erfassen.» Statt mit Hammer und Meissel formte sie ihre Skulpturen mit der Polaroidkamera.
An diesem Medium habe sie das Unmittelbare fasziniert. «Sie hat zum Teil Film um Film durchgelassen, bis sie sich dann für ein Bild entschied», beschreibt Schuppli Hannah Villigers Arbeitsmethode. Die ausgewählten Polaroids drehte und kombinierte sie nach Belieben, bevor sie sie schliesslich vergrössern liess: Aus den abgebildeten Körperfragmenten wird so eine neue Einheit.
Weg vom Schönheitsideal
Ihr ging es nicht um den eigenen Körper. Sie wollte eine allgemeine Ebene erreichen: «Mein Körper wird durch das viele Fotografieren zu irgendeinem Körper», sagte Hannah Villiger. Sie wollte wahre, nicht ästhetische Aussagen machen.
Klassische Porträtfotografie habe sie ebenso wenig interessiert wie traditionelle weibliche Schönheitsideale. Vielmehr habe Hannah Villiger versucht, den Körperstrukturen auf den Grund zu gehen, vermutet Madeleine Schuppli. «Ihre Arbeit hat etwas Nahes, auch etwas Sinnliches – und gleichzeitig etwas Kühles, Distanziertes.»
Eine Pionierin neu entdeckt
Zu Lebzeiten war Hannah Villiger mit ihrem Schaffen durchaus erfolgreich. Ihre Werke wurden an zahlreichen Ausstellungen in der Schweiz und ganz Europa gezeigt, 1994 auch im Schweizer Pavillon der Biennale Sao Paolo.
1997 starb sie erst 45-jährig an Herzversagen. Noch bis kurz vor ihrem Tod erstellte sie Polaroids, die – wie Hannah Villiger schrieb – «effizienter all das einlösen, was mir wichtig erscheint.»
Nun sei genau der richtige Zeitpunkt, ihre Arbeit neu zu entdecken, findet Schuppli. «Sie spurt Themen vor, mit denen wir uns heute gesellschaftlich stark beschäftigen: der Blick auf den weiblichen Körper. Die Frau, die selbst bestimmt, wie sie ihren Körper zeigen will. Die Selbstermächtigung des Blickes auf sich selbst.»
Wüsste man nicht, in welcher Zeit Hannah Villigers Fotografieskulpturen entstanden sind, würde man glauben, es sei ein Werk unserer Zeit.