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Ausstellungskritik zu «Because the Night»
Aus Kultur-Aktualität vom 16.12.2019. Bild: Barbara Wagner und Benjamin de Burca
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 52 Sekunden.
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Fotoausstellung in Winterthur Flucht in die Dunkelheit

Die vielen Facetten des Nachtlebens fängt die Ausstellung «Because the Night» im Fotomuseum Winterthur ein.

Ende der 1970er-Jahre schrieb Patti Smith mit Bruce Springsteen einen ihrer grossen Hits. «Because The Night» erzählt von Liebe und Freiheit. Und davon, dass beide nur in der Nacht möglich sind.

Eine Schlange vor einem Clubeingang.
Legende: Tobias Zielony: «Line», 2017. Aus der Serie «Maskirovka». Tobias Zielony. Mit freundlicher Genehmigung von Tobias Zielony und KOW, Berlin

Der nächtlichen Flucht aus dem Alltag widmet sich auch die neue Ausstellung im Fotomuseum Winterthur. Und dass diese Alltagsfluchten nicht bloss eskapistisch sind, sondern viel mit Identitätssuche in unterschiedlich rigiden Gesellschaften zu tun haben, zeigt die Schau auch.

Kiew, London, Südafrika

Tobias Zielony fotografierte 2017 Jugendliche in Kiew, Georg Gatsas dokumentierte 2009 die Dubstep-Szene Londons, bevor sie im Mainstream mündete. Beide zeigen junge Menschen auf der Suche nach sich selbst.

Eine junge Frau tanzt mit Blick nach unten.
Legende: «Dancer III» von Georg Gatsas, 2009. Georg Gatsas

Weniger eindeutig sind die Bilder des südafrikanischen Fotografen Thembinkosi Hlatshwayo. Gewalt, Angst, Bedrohung scheint über zerbrochenen Flaschen zu schweben.

Andere Bilder zeigen einen Mann neben einer Toilette oder über ihr mit dem Kopf nach unten hängend. Alles Selbstporträts des Fotografen. Häufig sind seine Fotos zerfetzt, ganze Streifen herausgerissen, ein Spiegel der Verletzlichkeit.

Ein verschwommenes Foto eines WCs und eines Mannes, der daneben steht.
Legende: Aus der Serie «Slaghuis» von Thembinkosi Hlatshwayo, 2018. Thembinkosi Hlatshwayo

Diese Nachtbilder aus einem Vorort von Johannesburg zeigen auch den Tag: die südafrikanische Gesellschaft mit ihren Zwängen und ihrer Gewalt. Der nächtliche Eskapismus ist nicht immer erfolgreich. Oft ist der Alltag und das, wovor geflüchtete wird, sichtbar auf den Bildern in der Ausstellung.

Immer dabei: die Fotografin

Aus Enge und eindeutigen Zuschreibungen flieht Agata. Bieke Depoorter porträtierte sie und ihr abenteuerliches Leben über zwei Jahre. Kennengelernt haben sich die beiden Frauen in einerm Pariser Striplokal. Agata zieht sich aus, versteht sich als freizügige Provokateurin, lässt sich mit Männern ein. Immer dabei die Fotografin.

Eine junge Frau mit tiefem Ausschnitt und Pelzjacke.
Legende: «Agata» von Bieke Depoorter, 2017. Bieke Depoorter/Magnum Photos

Alles nur wegen der Kamera?

Für die Ausstellung in Winterthur kommentiert Agata Depoorters Fotos mit handgeschriebenen Bemerkungen. Erzählt von der Angst, sich selbst so unperfekt auf diesen Bildern zu entdecken. Berichtet von der Lust, in Rollen zu schlüpfen, über Grenzen zu gehen und dadurch vielleicht dem wahren Ich näher zu kommen. Und Agata stellt Fragen nach der Rolle der Kamera. Vielleicht passierte das alles nur wegen ihr?

Die vielschichtigen und persönlichen Fotos von Bieke Depoorter und Thembinkosi Hlatshwayo verleihen der Ausstellung Tiefe. Sie funktionieren nicht rein dokumentarisch, sondern denken auch über das Medium Fotografie nach und über Gesellschaften, aus denen man selbst nachts nicht flüchten kann.

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