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Kunst Fotograf Andri Pol erforscht die Teilchenjäger am Cern

Eigentlich ist er selbst ein Forscher – der Schweizer Fotograf Andri Pol. Mit dem Ziel, eine wenig bekannte Spezies im Kanton Genf zu erkunden, zog er vor zwei Jahren mit der Kamera los. Was er im Reich der Physiker entdeckte, liegt nun in Buchform vor: «Menschen am CERN», eine Feldstudie.

Wie ein kleiner Staat im Staat liegt das Cern, das Europäische Zentrum für Kernforschung, vor den Toren der Stadt Genf. 10'000 Menschen arbeiten hier in einer ganz und gar unprätentiösen Umgebung: Viel Beton und Asphalt dominieren das Bild, graue Fabrikhallen und Bürogebäude, die bessere Tage gesehen haben. Nein, hier sind keine Menschen am Werk, die Wert auf Äusserlichkeiten legen. Ihnen geht es um den Kern der Sache, denn sie erforschen die Kräfte, die die Welt im Innersten zusammenhalten.

Hier darf nicht geputzt werden!

Aufnahme von zwei Forschern, die lesend vor einer vollgeschriebenen Tafel sitzen.
Legende: Ein Blick in die verborgene Welt des Cerns: Ausschnitt einer Aufnahme aus Andri Pols Bildband. Andri Pol

Die Aufmerksamkeit des Fotografen richtet sich so auf die Wandtafel eines Teilchenphysikers. Unbeschriebene Flecken gibt es darauf keine mehr, ein dichtes Gewebe von mathematischen Berechnungen überlagert ältere Schreib-Schichten. Wer weiss, vor wie vielen Jahren diese Tafel das letzte Mal gereinigt wurde?

Hier darf nicht geputzt werden, das macht ein Schild an der Tür deutlich. Die Unordnung ist quasi die Ursuppe, der Nährboden für die Gedankenarbeit der Forscher. Nirgendwo liegen Chaos und Genie so nahe wie am Cern.

Der Fotograf als Ethnograf

Andri Pol hat sich in seinen Arbeiten schon öfter unbekannten Kulturen angenommen, ob es nun japanische Sumoringer waren oder heimische Alphornbläser. Seine Bilder sind geprägt von der Suche nach dem schrägen Moment, nach dem skurrilen Detail im sattsam Bekannten.

Ein Forscher steht mit fragender Geste vor einer Ansammlung schmutziger Kaffeetassen.
Legende: Kaffeebecher und ein geordnetes Chaos am Cern. Andri Pol

«Es war nicht einfach, im Cern Bilder zu finden», sagt Pol im Interview. Denn im Cern passiert wenig, zumindest wenig Sichtbares. Und doch gelang es Pol mit dem Blick auf das scheinbar Nebensächliche allgemeingültige Bilder zu machen.

Er brauchte zwei Jahre, bis die Arbeit an seinem Buch beendet war. Zwei Jahre, in denen er sich immer wieder wie ein Ethnograf in die Forschergemeinde begab; beobachtete, auf den richtigen Moment wartete. Mittlerweile kennt er sich auf dem riesigen Gelände gut aus und hat zu manchen Forschern einen persönlichen Draht.

Ein fotografisches Zeugnis der Leidenschaft

So wurde der Fotograf Andri Pol zum Dokumentaristen der Leidenschaft. Das Cern ist ein Ort der Hingabe, hier wird mit Leib und Seele geforscht. Und diese Hingabe überträgt sich auch auf die Maschinen. «Wunderschön, nicht wahr?» fragt einer der Physiker, der in jahrelanger Arbeit einen zwei Meter grossen Teilchen-Detektor aus zarten Kupferröhrchen konzipiert und erbaut hat: «Das ist so schön wie Kunst.»

Buchhinweis

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Andri Pol: «Menschen am CERN.» Lars Müller Publishers, 2013.

Demnächst wird die beeindruckende, glänzende Apparatur in ein grösseres Ensemble eingebaut und versenkt. «Ein Jammer, dass man es dann nicht mehr anschauen kann», meint der Physiker.

«Es ist die Begeisterung dieser Wahnsinnigen, die mich fasziniert und motiviert hat, ein Fotobuch zu machen», sagt Andri Pol. «Und nach zwei Jahren kann ich nur bestätigen: Es lohnt sich hinzuschauen. Ich habe viel gelernt.» Vielleicht nicht über die Kräfte im Universum, aber über das, was den Menschen antreibt.

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