Es brannte! Das Herz von Jakob Tuggener schlug heiss und innig für seine Fotografien. Für Kompromisse, obwohl sie finanziellen Zustupf oder öffentliche Aufmerksamkeit versprachen, war der Künstler so gar nicht zu haben. Tuggener fühlte sich zeitlebens nichts und niemandem verpflichtet; ausser seinem Werk.
Über 60 Jahre fotografierte Tuggener Fabrikarbeiter, Landschaften oder rauschende Ballnächte; nie auf Auftrag, sondern weil es ihn von Grund auf interessierte. «Er suchte in seiner Fotografie stets einen persönlichen Ausdruck, etwas – wie er selbst sagte –, das seiner Seele entsprach», sagt Martin Gasser von der Fotostiftung Schweiz.
Der Photograph als Expressionist existiert nicht im Handelsregister. Er ist der Freieste und Freie. Losgebunden von allem Zweck!
1904 in Zürich geboren, ist Jakob Tuggener ein Ausnahmetalent in der Schweizer Fotografie. Berühmte Kollegen wie Robert Frank berufen sich auf ihn und nahmen sich ein Vorbild.
Und trotzdem blieb Tuggeners Werk zu Lebzeiten ohne grosse Beachtung. «Seine kompromisslose Art war seiner Karriere sicher nicht förderlich», sagt Martin Gasser, «er konnte Menschen mit seiner Radikalität vor den Kopf stossen.»
Nur das Fotobuch «Fabrik» wurde zu Tuggeners Lebzeiten realisiert. Als der Künstler 1988 starb, hinterliess er über zehntausend Abzüge und Negative, darunter sechzig thematische Fotobuch-Entwürfe mit Originalfotografien und druckfertigem Layout. «Das Buch war sein Medium», sagt Martin Gasser.
Fotografie war für Tuggener nie ein einzelnes Bild, sondern immer eine sorgfältig arrangierte und klare Abfolge von Bildern, die eine Geschichte von Anfang bis zum Ende erzählen. Martin Gasser: «Seine Bilder waren nie als Ergänzung zu einem Text gedacht, sie sollten immer als völlig unabhängiger Ausdruck bestehen können.»
Perfektionistischer Einzelkämpfer
Mit dieser Haltung, die sich stark am Stummfilm der 1920er-Jahre orientierte, war Tuggener seiner Zeit voraus. Mit seiner Überzeugung, wie Fotografie sein soll, stand er im Europa der 1930er- und 1940er-Jahre ziemlich allein da.
Im Gegensatz zu vielen seinen Kollegen, verstand sich Tuggener nie als Dokumentarist. «Es war nie die Idee, ein Geschehen einfach nur zu illustrieren», sagt Martin Gasser. «Er war nie ein aussenstehender Beobachter, sondern immer Teil des Geschehens.»
Beim Verkauf seiner Bilder ging Tuggener nie systematisch oder gar professionell vor – sondern eher pragmatisch. Wenn kein Geld mehr da war, ging er halt wieder Klinke putzen.
Seine Bilder erschienen sporadisch in Zeitungen und Zeitschriften. Hin und wieder wurde er von einem Mäzen in seiner Arbeit unterstützt. Materieller Gewinn stand bei Tuggener nie im Vordergund, er lebte sehr bescheiden.
Ausgerüstet mit einem unerschütterlichen Selbstvertrauen und einer Kleinbildkamera, die ihm Mobilität garantierte, arbeitete er während Jahrzehnten an seinen grossen Themen Technik, Ballsall, Land. Er beobachtete bis an sein Lebensende. Wenn er nicht fotografierte, filmte und malte er.
Drei Lebensthemen
Mit seinem Material ging er völlig schmerzfrei um. Er vergrösserte ohne Bedenken nur Ausschnitte seiner Kleinbildnegative, wenn es ihm darum ging, ein Detail in den Vordergrund zu rücken. Das Bild musste mit seiner eigenen Stimmung deckungsgleich sein.
In seinem Buch «Fabrik» mischte er beispielsweise Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden und Orten, um seine Geschichte erzählen zu können. «Und diese Geschichte ist eben nicht nur die Geschichte einer Fabrik, es ist eine Geschichte über Technologie, über die Entwicklung der Industrie, in der auch eine Gefahr für den Menschen steckt», sagt Martin Gasser.
Dampfmaschinen, Zahnräder, Russ, Perlenohrenringe oder Zigarettenhalter: Das Dunkle in der Fabrik und der schwitzende Arbeiter waren für Tuggener gleichermassen spannend wie die feine Gesellschaft, die ihre rauschenden Partys feierte.
Tuggener liess sich von beiden Welten faszinieren und gleichermassen hineinziehen. Die Kamera war der Schlüssel, mit denen sich diese Welten für ihn öffnen liessen.
Stets suchte er einen menschlichen Aspekt, wollte nicht weniger als das Feinstoffliche neben dem Groben in der Fabrik, im Ballsaal oder auch auf dem Acker auf Papier bannen. Der Betrachter wiederum sollte sich ebenso in der Emotionalität seiner Bilder verlieren können. So sind seine Bilder auch das poetische Konzentrat einer inzwischen längst vergangenen Zeit.