Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Kunst Fotografie zwischen Überwachung und Selbstdarstellung

Überwachungskameras im öffentlichen Raum sind so alltäglich, dass man sie kaum noch wahrnimmt. Täglich werden tausende Selfies ins Netz gestellt. Die Foto-Triennale Genf geht der Frage nach, was dieses ständige Fotografieren und Dokumentieren mit uns macht.

Über der Treppe des Centre de la Photographie in Genf wacht ein Videoauge. Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer hat die extrem vergrösserte Aufnahme eines Auges installiert und so programmiert, dass der Blick den Besuchern folgt.

Der Gedanke an George Orwells düstere Utopie einer totalen Überwachung drängt sich auf. Technisch ist die permanente Observation, die Orwell in «1984» beschreibt, längst kein Zukunftsmärchen mehr. Kameraüberwachung im öffentlichen Raum gehört längst zum Alltag, doch die wenigsten Menschen stören sich daran.

Screenshots einer Frau und eines Mannes, die ihre Muskeln zeigen.
Legende: Eine Variation der Selbstentblössung: Ausschnitt von Ann Hirschs «penis envy». Ann Hirsch

Kontrolle versus unkontrollierte Überwachung

Joerg Bader, den Direktor des Centre de la Photographie, irritiert das. Ihn wundert, dass Fotografen auf Strassen und Plätzen von Passanten angegangen werden, weil sie fürchten, auf den Fotos fremder Leute verewigt zu werden. An den Überwachungskameras in Trams und Tiefgaragen stört sich indes niemand.

Diese Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Kontrolle über das eigene Bild und der Gleichgültigkeit gegenüber der unkontrollierbaren Menge an Überwachungsbildern, regte Bader an. Er stellte die fünfte Ausgabe der Triennale in Genf unter das Motto Überwachung.

Bader lud Fotoschaffende aus der Schweiz und aller Welt ein, Arbeiten einzureichen oder zu gestalten. Er versuchte sogar, Aufnahmen von Genfer Überwachungskameras in die Ausstellung zu integrieren. Dieses Projekt scheiterte an den notwendigen Bewilligungen.

Von Frankenstein bis Selbstentblössung

Veranstaltungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

«50 JPG: 50 Jours pour la Photographie à Genève» läuft vom 1. Juni bis 31. Juli im Centre de la Photographie de Genève.

Auch ohne die Aufnahmen aus Überwachungskameras ist eine dichte und aufrührende Schau entstanden. Sie ist thematisch so breit wie technisch vielfältig. Es gibt visuell eher trockene, inhaltlich starke Arbeiten wie die Recherche-Protokolle des US-Künstlers Warren Neidich: Er hat im Internet nach Daten zu Personen aus seinem Umfeld gesucht und erschreckend viel gefunden.

Wie eine moderne Frankenstein-Fantasie wirken die Köpfe der US-amerikanische Künstlerin Heather Dewey-Hagborg. Sie hat im öffentlichen Raum DNA-Proben gesammelt und mit Hilfe eines 3D-Druckers dreidimensionale Phantombilder erschaffen.

Ann Hirsch, ebenfalls aus den USA, hat in sozialen Netzwerken nach erotischen Selbstdarstellungen gesucht. Daraus hat sie eine Videoinstallation geschaffen, die Variationen zum Thema Selbstentblössung zeigt.

Fotografieren, um zu sehen

Ein visueller Höhepunkte der Ausstellung ist ein Video vom Neuenburger Collectif_Fact (Annelore Schneider und Claude Piguet). Es besteht aus Aufnahmen, die bei einem Rundgang durch die National Gallery in London mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware entstanden.

In schnellen, schwungvoll choreographierten Schnittfolgen sieht man Besucher und Ausschnitte aus Gemälden, höfische Trachten und zeitgenössische Freizeitmode. Man sieht Gesichter von heute, aus dem Barock, dem 19. Jahrhundert: staunend, schlafend, grübelnd, lächelnd. Und die Besucher immer wieder: fotografierend, fotografierend, fotografierend.

Sendung: Kultur kompakt, Radio SRF 2 Kultur, 6. Juni 2016, 16.50 Uhr

Meistgelesene Artikel