Alte New Yorker Wolkenkratzer, seitenlang – so beginnt «Fun». Endlose Fassaden, zahllose Fenstern, alles detailliert gezeichnet.
Dass Zeichner Paolo Bacilieri diese urbanen Ansichten so genau darstellt, kommt nicht von ungefähr: Diese Fassaden und Fenster sollen um 1900 die Blaupause für das Kreuzworträtsel geliefert haben. Mal senkrecht, mal waagrecht, verschachtelt und miteinander verknüpft.
Allgegenwärtiges Hobby
Nach diesen ersten Impressionen legt Paolo Bacilieri los und erzählt auf fulminante Weise die Kulturgeschichte des Kreuzworträtsels.
Von seinen Anfängen über seinen rasanten Siegeszug rund um die Welt bis heute, wo Kreuzworträstel immer noch allgegenwärtig sind. In jeder Zeitung und Zeitschrift steht mindestens eins, und das Angebot an telefonbuchdicken Rätselzeitschriften ist unüberschaubar.
Populärer Zeitvertreib als Weltgeschichte
Doch allein die Geschichte dieses Zeitvertreibs wäre nicht interessant. Fesselnd ist, wie Bacilieri die Geschichte dieses populären Denksports verknüpft mit der «grossen» Geschichte des 20. Jahrhunderts; mit der Geschichte der Presse, mit wirtschaftlichen Aufschwüngen und Krisen, mit politischen Verwerfungen und Kriegen, kulturellen Strömungen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Man liest, man schaut, man staunt – und verwundert wird man gewahr, dass sich in diesem vermeintlich trivialen Zeitvertreib das ganze 20. Jahrhundert spiegelt.
«Fun» würde seinem Thema jedoch nicht gerecht, würde Bacilieri aus seiner Graphic Novel nicht auch eine Art Ratespiel machen: Er verknüpft die historische Aufarbeitung mit mehreren fiktionalen Erzählsträngen und einem kriminalistischen Rätsel.
Zeno, Mafalda und ein Revolver
Da schreibt der berühmte Romanautor Pippo Quester, der zweifellos Umberto Eco nachempfunden ist, eine Kulturgeschichte des Kreuzworträtsels. Da ist sein Bewunderer Zeno Porno, ein erfolgloser Comic-Zeichner, der für Quester Recherchen anstellt.
Und dann ist da noch Mafalda, eine rätselhafte junge Argentinierin, die von einem tiefen Hass auf Quester getrieben ist und ihn mit einer selbst gebastelten Pistole verletzt.
Bis der Kopf raucht
Wie alle diese Geschichten, Bilder und Anspielungen zusammenhängen, ist nicht immer offensichtlich, sie hüpfen in alle Richtungen und werfen immer neue Fragen auf. Man verliert die Orientierung. Irgendwann raucht beim Lesen der Kopf – wie beim Lösen eines anspruchsvollen Kreuzworträtsels.
Manchmal beschleicht einen der Verdacht, Bacilieri habe schlicht zuviel in seine Graphic Novel gepackt – aber bald vergisst man diesen Verdacht wieder, denn das Lesevergnügen ist schlicht zu gross.
Der Comic als Kreuzworträtsel
Virtuos spielt Bacilieri in «Fun» erzählerisch und dramaturgisch mit den Techniken und Strategien des Kreuzworträtsels – und nicht zuletzt auch ästhetisch.
Die Zeichnungen und die Seitengestaltung greifen mit ebenso viel konzeptioneller Strenge als auch Lust und Spass die Form des Kreuzworträtsels auf und führen sie weiter.
«Fun» ist ein kluges Vergnügen, eine der unterhaltsamsten und verspieltesten Graphic Novels der Saison – bereichernder und länger nachwirkend als das beste Kreuzworträtselheft für den Sommer.