Die Aussicht vom Beatenberg im Berner Oberland über den Thunersee. Der Blick über Chamonix auf das gewaltige Massiv des Mont Blanc. Oder ein Flug über den Lago di Lugano in Richtung südliche Voralpen.
90 Stück solcher klassischer Panoramakarten versammelt das Buch «Alpen. Die Kunst der Panoramakarte».
Sind diese Karten Kunst?
Natürlich ist das Kunst – in vielfacher Hinsicht. Zu allererst ist es gutes Grafikdesign. Man kann es vielleicht auch «Gebrauchskunst» nennen. Aber diese Karten sind noch mehr. Sie haben etwas ganz Eigentümliches und auch etwas Widersprüchliches.
Einerseits stehen sie in der Tradition der klassischen Landschaftsmalerei des 18. und 19. Jahrhunderts. Zum Beispiel hat der Schweizer Caspar Wolf in seinen Gemälden die Schönheit und Schroffheit der Alpen dargestellt. Seine Werke flössen Respekt vor der Natur ein, sind bisweilen sogar etwas beängstigend. Auch beim Betrachten der Panoramakarten kann einem ja fast schwindlig werden.
Andererseits haben diese Karten auch etwas von naiver Kunst. Sie zeigen Modeleisenbahn-Landschaften mit ihren Dörfli, Bäumli, und Ski-Liftli. Das hat auch etwas von Kinderbilderbüchern. Es erinnert beispielsweise an die Wimmelbilder des Zeichners Ali Mitgutsch. Deshalb sind diese Panoramabilder nicht nur beeindruckend schön, sondern haben auch einen ganz eigentümlichen Charme.
Der «Vater der Panoramakarte»
Als Begründer des Genres gilt der österreichische Künstler Heinrich C. Berann (1915-1999). Seit den 1930er-Jahren hat er hunderte solcher Karten geschaffen. Er gilt als Meister der Perspektive, der sich auch immer wieder künstlerische Freiheiten herausnahm und sich nicht ganz an die Realität hielt. Er liess auch schon mal einen Berg weg, wenn dieser im Weg stand oder drehte den Berg im Bild so, dass der sich von seiner schönsten Seite zeigte.
Panoramakarten sollen zwar exakt wirken, müssen es jedoch nicht in allen Details sein. In erster Linie sollen sie den Betrachter beeindrucken, die Landschaft «erlebbar» machen, Emotionen wecken und nicht nur Informationen vermitteln.
Hohe Handwerkskunst
Noch heute werden Panoramakarten wie damals hergestellt. Ob eine Karte mehr oder weniger gut gelingt, entscheidet sich meist schon mit der Wahl des Standortes: Von wo aus blickt man über die Landschaft?
Der Künstler braucht dafür viel Erfahrung und ein ausserordentliches Vorstellungsvermögen. Dann beginnt er mit einer Bleistiftskizze. Gemalt werden die Karten schliesslich in mühevoller Kleinarbeit mit Gouache- und Temperafarben.
Die Orientierung fehlt
Der Bildband «Alpen. Die Kunst der Panoramakarte» vermittelt einen schönen Einblick in das Genre. Besonders informativ ist es allerdings nicht. Der Textteil ist sehr kurz und was schlicht fehlt, ist ein ordentlicher Index. Es ist schon ironisch, dass in einem Buch über Landkarten die Orientierungshilfe fehlt.
Und dennoch: Diese Karten sind faszinierend. Das Buch zeigt dies in der vollen Bandbreite und macht einmal mehr deutlich, welch wunderschöne Landschaften in den Alpen zu finden sind.