Das Wichtigste in Kürze
- Das Kunstmuseum Bern und die Bundeskunsthalle in Bonn zeigen gleichzeitig Werke aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt.
- Die Ausstellung will die Bilder in ihrem kunsthistorischen, historischen und biographischen Kontext zeigen.
- Gurlitt war mehr Händler als qualitätsbesessener Sammler. Nicht alle Werke in seiner Sammlung sind gelungen.
Über 200 Werke aus dem Bestand Gurlitt hängen in der Bundeskunsthalle Bonn an den Wänden. Allerdings setzt diese Ausstellung nicht auf die Schönheit der Zeichnungen und Bilder, sondern auf die Brisanz ihrer Herkunft: Sie sind möglicherweise NS-Raubkunst.
In dieser Ausstellung werde jeder Besucher zum Provenienzforscher, sagt Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn: «Man stellt sich bei jedem Werk die Frage: Wo kommt das her und wem hat es gehört?»
Ursprüngliche Eigentümer
Die Schicksale der Menschen, denen diese Kunstwerke einst gehörten, sind ein Schwerpunkt der Ausstellung, die Rein Wolfs gemeinsam mit Agnieszka Lulínska kuratiert hat.
Zu sehen sind Zeichnungen von Adolph Menzel oder Otto Dix, daneben ist zu lesen von jüdischen Sammlern wie den Wolffsons oder Ismar Littmann. In Vitrinen kann jeder selbst einen Blick in die
Geschäftsbücher von Hildebrand Gurlitt werfen, um herauszufinden, was der Händler den jüdischen Sammlern in Not ab 1933 für ihre Kunst bezahlte.
Was will der Markt?
Zudem legt die Ausstellung in Bonn einen Schwerpunkt auf den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt.
Über Werkgruppen macht sie klar, was in seinem Bestand vorhanden ist: In Nischen der Ausstellung finden viele Frauenportraits oder Seestücke zusammen.
Von herausragender Qualität sind die expressionistische Kunst und einige Spitzenwerke des Impressionismus.
Die historischen französischen Zeichnungen und die alten Niederländer aus dem Bestand Gurlitt sind meist guter Durchschnitt. Manches, etwa Courbets «Bauernmädchen mit Ziege», sieht mehr nach Ladenhüter aus.
Das ist nicht der Besitz eines qualitätsbesessenen Sammlers, sondern der eines Händlers, der sich am Publikumsinteresse orientiert. Es ist also nicht alles erste Sahne im Bestand Gurlitt.
Stationen in Gurlitts Biografie
Neben den «Fallbeispielen» ursprünglicher Eigentümer und kunsthistorischen Werkgruppen operiert die Bonner Ausstellung mit einer weiteren Ebene: der Biografie Hildebrand Gurlitts.
Chronologisch folgt die Ausstellung den Stationen Gurlitts: von seinem Posten als Museumsleiter in Zwickau – noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten – über seine Händler-Karriere im 3. Reich bis zur Nachkriegszeit, in der Gurlitt wieder Museumsleiter in Düsseldorf war.
Kurzgeschlossen werden diese biografischen Stationen mit der Zeitgeschichte. Kurztexte und Grafiken an der Wand machen sichtbar, welche nationalsozialistischen Erlasse und Gesetze die systematische Entrechtung und Beraubung der jüdischen Bevölkerung ermöglichten.
Hohe Erwartungen, mangelnde Tiefe
Die Bonner Ausstellung will viel und ist auf verschiedenen Ebenen lesbar: auf der kunsthistorischen, der historischen, der biografischen und der ethisch-moralischen. Das ist viel.
Trotz der Komplexität des Angebots bleibt man aber immer ein wenig hungrig, weil die schlanken Texte in der Ausstellung kaum in die Tiefe gehen. Natürlich waren die Erwartungen hoch. Deshalb kann man mit einer solchen Ausstellung nur scheitern.
Bloss keine Blösse
Kritisieren lässt sich, dass die Information immer dann besonders knapp wird, wenn es um heikle Fälle der Provenienzrecherche geht. Für welche Werke wurden etwa bereits Entscheide gefällt, die Diskussionen auslösen könnten?
Darüber gibt auch der Katalog zur Ausstellung keine Auskunft. Offene Fragen der Provenienzrecherche spielen in der Ausstellung durchaus eine Rolle, aber nicht, wenn’s heikel werden könnte.
So bleibt der Eindruck, dass sich die Bonner Bundeskunsthalle und der deutsche Staat im Fall Gurlitt bei grösstmöglicher Transparenz bloss keine Blösse geben wollen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 1.11.2017, 7.20 Uhr