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Hans Ulrich Obrist kuratiert Ist das Kunst oder Nonsens?

Seit sechs Jahren veröffentlicht Kurator Hans Ulrich Obrist gemeinsam entstandene Künstler-Zeichnungen auf seinem Instagram-Account. Jetzt zeigt die Ausstellung «Zusammen Zeichnen» im Museum im Bellpark die Werke zwischen Tiefsinn und Nonsens.

Es ist so einfach! Nötig ist nicht mehr als ein Blatt Papier, ein Stift und eine Handvoll Menschen. Der Erste zeichnet den Kopf, knickt das Papier um, reicht es weiter, die Zweite zeichnet den Bauch, knickt um, reicht weiter … und so weiter und so sofort, bis das Papier aufgefaltet wird und eine Figur erscheint. Oder kompletter Nonsens.

«Kopf, Bauch, Fuss», «Knickspiel» oder etwas vornehmer: «Cadavre exquis» – es gibt viele Namen für das Spiel, das eine gemeinsame Zeichnung zur Überraschung aller entstehen lässt.

Ein Mann mit schwarzer dicker Brille.
Legende: Der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist hat über die Jahre hinweg viele «Knick-Kunstwerke» angeregt. Jetzt sind sie in einer Ausstellung zu sehen. IMAGO / Bettina Strenske

Über 200 dieser gemeinsamen Zeichnungen hat Hans Ulrich Obrist in den letzten sechs Jahren mit Künstlerinnen, Designern und anderen Kreativen entstehen lassen und auf Instagram veröffentlicht. Eine Feier des Analogen im digitalen Format.

Jede Zeichnung gelingt 

«Das Spiel funktioniert eigentlich immer, bloss der Moment muss stimmen», sagt der Schweizer Kurator der britischen Serpentine Gallery. Seien Musse und Offenheit für einen spielerischen Moment vorhanden, gelinge jede Zeichnung.

Das steckt hinter «Cadavre exquis»

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Das Prinzip des «Cadavre exquis» stammt ursprünglich von dem französischen Surrealisten André Breton. Er entdeckte es Mitte der 1920er-Jahre. Es sei eine spielerische Methode, dem Zufall bei der Entstehung von Bildern Raum zu geben.

Ein nach diesem Prinzip erzeugter Satz hat dem Spiel seinen Namen gegeben: «Le cadavre exquis boira le vin nouveau», zu Deutsch: «Der köstliche Leichnam wird den neuen Wein trinken».

Und tatsächlich sind die Blätter hinreissend, die nun in der Ausstellung im Krienser Museum im Bellpark nebeneinander hängen. Es ist eine Weltausstellung im kleinen Format, denn mitgearbeitet haben alle, die unter Kreativen Rang und Namen haben. Von Ai Weiwei und Etel Adnan über Gerhard Richter bis hin zu Pipilotti Rist.

Knick-Kunstwerk
Legende: Eine Figur, vier Kreative: Simon Kret, David Chipperfield, Alice Rawsthorn, Francis Kéré. Hans Ulrich Obrist / Kret, Chipperfield, Rawsthorn und Kéré

Quatsch mit Tiefgang

Zu sehen ist ein schier grenzenloses Arsenal überraschender Bilder. «Was stets verlässlich eintritt, ist der Schock, wenn die Zeichnung auseinandergefaltet wird und alle das fertige Bild betrachten: den Nonsense oder den Tiefsinn, den sie gemeinsam geschaffen haben», sagt Hilar Stadler, Direktor des Museums im Bellpark. 

Man kann unheimlich viel hineininterpretieren, oder es bleiben und sich überraschen lassen: Von den vielen Gebilden, die auseinanderfallen oder wundersamerweise zueinanderfinden. Wie die wunderbare Zeichnung, die der Designer Ronan Bouroullec und der Künstler und Gründungsdirektor der Lausanner Kunstschule ECAL, Pierre Keller, erschufen.

Knick-Illustration
Legende: Bizarre Komposition: Was Designer Ronan Bouroullec und Künstler Pierre Keller zeichneten, fügt sich überraschend zur Einheit zusammen. Hans Ulrich Obrist / Ronan Bouroullec und Pierre Keller

«Telepathie spielt eine Rolle! Die beiden kannten sich sehr gut, ihre gemeinsame Zeichnung wurde zu einer absoluten Einheit», erklärt Hans Ulrich Obrist. Und erkennt denselben Effekt auf einer feinen Zeichnung von Annette Messager und Christian Boltanski, die miteinander verheiratet waren. 

Knick-Illustration
Legende: Laut Hans Ulrich Obrist sieht man der Zeichnung an, wie gut sich die beteiligten Künstler kannten. Dieses Blatt stammt von Etal Adnan und dem Ehepaar Annette Messager und Christian Boltanksi. Hans Ulrich Obrist / Annette Messager und Christian Boltanski

Von Surrealisten entwickelt

Aber ob die Blätter nun zu einer Einheit zusammenfinden oder auseinanderfallen – immer entstehen Bilder, die nicht von dieser Welt sind. Perfekt und unheimlich. Bilder, die sich kein Mensch ausgedacht oder vorgestellt haben kann.

Kein Wunder, wurde das Knickspiel von den Surrealisten kultiviert. André Breton, Meret Oppenheim und andere spielten es als «Cadavre exquis» und versuchten damit die Kontrolle des Verstandes beim Bilder-Machen auszuhebeln.

Die gemeinsamen Zeichnungen sind ein Spiel und gleichzeitig viel mehr als das. Eine Party, die alle glücklich macht, und: eine Feier der menschlichen Fantasie, der gemeinsamen Erlebnisse und der Automatismen, die sichtbar machen, was jenseits rationaler Kontrolle entsteht.

Ausstellungshinweis

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« Zusammen Zeichnen » im Museum im Bellpark in Kriens zeigt über 200 «Cadavres exquis», die Hans Ulrich Obrist in den letzten sechs Jahren initiierte und sammelte. Die Ausstellung ist noch bis 7. August 2022 zu sehen.

Anfang Juni erscheinen die Zeichnungen bei der «Edition Moderne» auch als Buch.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 16.05.2022, 17:10 Uhr

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