Es ist so einfach! Nötig ist nicht mehr als ein Blatt Papier, ein Stift und eine Handvoll Menschen. Der Erste zeichnet den Kopf, knickt das Papier um, reicht es weiter, die Zweite zeichnet den Bauch, knickt um, reicht weiter … und so weiter und so sofort, bis das Papier aufgefaltet wird und eine Figur erscheint. Oder kompletter Nonsens.
«Kopf, Bauch, Fuss», «Knickspiel» oder etwas vornehmer: «Cadavre exquis» – es gibt viele Namen für das Spiel, das eine gemeinsame Zeichnung zur Überraschung aller entstehen lässt.
Über 200 dieser gemeinsamen Zeichnungen hat Hans Ulrich Obrist in den letzten sechs Jahren mit Künstlerinnen, Designern und anderen Kreativen entstehen lassen und auf Instagram veröffentlicht. Eine Feier des Analogen im digitalen Format.
Jede Zeichnung gelingt
«Das Spiel funktioniert eigentlich immer, bloss der Moment muss stimmen», sagt der Schweizer Kurator der britischen Serpentine Gallery. Seien Musse und Offenheit für einen spielerischen Moment vorhanden, gelinge jede Zeichnung.
Und tatsächlich sind die Blätter hinreissend, die nun in der Ausstellung im Krienser Museum im Bellpark nebeneinander hängen. Es ist eine Weltausstellung im kleinen Format, denn mitgearbeitet haben alle, die unter Kreativen Rang und Namen haben. Von Ai Weiwei und Etel Adnan über Gerhard Richter bis hin zu Pipilotti Rist.
Quatsch mit Tiefgang
Zu sehen ist ein schier grenzenloses Arsenal überraschender Bilder. «Was stets verlässlich eintritt, ist der Schock, wenn die Zeichnung auseinandergefaltet wird und alle das fertige Bild betrachten: den Nonsense oder den Tiefsinn, den sie gemeinsam geschaffen haben», sagt Hilar Stadler, Direktor des Museums im Bellpark.
Man kann unheimlich viel hineininterpretieren, oder es bleiben und sich überraschen lassen: Von den vielen Gebilden, die auseinanderfallen oder wundersamerweise zueinanderfinden. Wie die wunderbare Zeichnung, die der Designer Ronan Bouroullec und der Künstler und Gründungsdirektor der Lausanner Kunstschule ECAL, Pierre Keller, erschufen.
«Telepathie spielt eine Rolle! Die beiden kannten sich sehr gut, ihre gemeinsame Zeichnung wurde zu einer absoluten Einheit», erklärt Hans Ulrich Obrist. Und erkennt denselben Effekt auf einer feinen Zeichnung von Annette Messager und Christian Boltanski, die miteinander verheiratet waren.
Von Surrealisten entwickelt
Aber ob die Blätter nun zu einer Einheit zusammenfinden oder auseinanderfallen – immer entstehen Bilder, die nicht von dieser Welt sind. Perfekt und unheimlich. Bilder, die sich kein Mensch ausgedacht oder vorgestellt haben kann.
Kein Wunder, wurde das Knickspiel von den Surrealisten kultiviert. André Breton, Meret Oppenheim und andere spielten es als «Cadavre exquis» und versuchten damit die Kontrolle des Verstandes beim Bilder-Machen auszuhebeln.
Die gemeinsamen Zeichnungen sind ein Spiel und gleichzeitig viel mehr als das. Eine Party, die alle glücklich macht, und: eine Feier der menschlichen Fantasie, der gemeinsamen Erlebnisse und der Automatismen, die sichtbar machen, was jenseits rationaler Kontrolle entsteht.