Könnten Jeff Walls Bilder sprechen, würden sie vermutlich so etwas sagen wie: «Hier kommen wir!» Gross sind sie, viele messen zwei mal drei Meter oder mehr.
Einige Bilder leuchten. Vor allem in seinen Anfangsjahren montierte Wall seine Fotos auf Leuchtkästen, wie man sie aus der Plakatwerbung kennt. So ist auf den ersten Blick klar: Diese Bilder wollen ernst genommen werden, genauso ernst wie Malerei.
Auf den zweiten Blick tauchen Zweifel auf
Fast alles andere an Jeff Walls Bildern bleibt dagegen erstmal unklar: Sie wirken oft irritierend, verstörend oder irgendwie rätselhaft. Genau das macht sie so faszinierend.
Zum Beispiel «Eviction», übersetzt «die Räumung»: Eine Strassenkreuzung mit Einfamilienhäusern, den parkierenden Autos nach zu urteilen, irgendwo in Nordamerika. Passanten laufen das Trottoir entlang, ein Kind fährt Fahrrad.
In der Mitte des Bildes halten zwei Polizisten einen Mann fest, der sich mit aller Kraft wehrt. Eine Frau rennt mit ausgestreckten Armen auf die Gruppe zu. Im ersten Moment wirkt das Foto wie ein Schnappschuss.
Doch je länger man sich das Bild anschaut, desto grösser werden die Zweifel: Das Foto ist wohlkomponiert, die Gruppe steht genau im Zentrum, die Frau streckt ihre Arme dramatisch von sich. Fast wirkt das Ganze wie ein Bild aus einem Film. Unweigerlich stellt man sich Fragen: Wieso muss das Haus geräumt werden? Gehört es dem Mann? Will die Frau dem Mann helfen – oder den Polizisten?
Viele Fragen, keine eindeutigen Antworten
Eindeutige Antworten bekommen die Betrachterinnen jedoch nicht – mit Absicht, sagt Jeff Wall: «Ausgangspunkt für meine Bilder ist meist irgendeine Begebenheit oder Erfahrung. Dann denke ich mir dazu eine Geschichte aus. Danach lösche ich diese Geschichte aus meinem Kopf. Dadurch muss sich der Betrachter das ‹Davor› und ‹Danach› selbst erzählen.»
Jeff Wall plant seine Aufnahmen minutiös. Teilweise baut er eigene Sets für seine Bilder, er engagiert Darsteller und bearbeitet die Fotos digital nach.
Manchmal ist diese «Inszeniertheit» ganz deutlich: Etwa bei dem Bild, das einen Jungen in ziemlich verdrehter Haltung zeigt, genau in dem Moment, in dem er scheinbar von einem Baum fällt. Wall spielt gerne mit der vermeintlichen Authentizität von Fotos und ihrer Künstlichkeit, mit Dokumentation und Fiktion.
Man bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf
Kurator Martin Schwander erklärt, was für ihn das Besondere an Jeff Walls Kunst ist: «Er ist ein Beobachter, der mit unglaublich sensiblen Antennen ausgestattet ist. In seinen Bildern analysiert er soziale und kulturelle Entwicklungen, aber auch Veränderungen im Stadtraum.»
Daraus macht Jeff Wall Bilder, die so stark sind, dass man sie noch lange im Kopf behält. Martin Schwander hat Walls Arbeiten nicht chronologisch geordnet, sondern grob nach Thema.
So gesellen sich rätselhafte Fotos mit vielen Details zu Bildern, die tatsächlich «nur» das sind, was sie zeigen: ein Esel in seinem Stall, eine Pinie an einer Strassenecke. Die Bezüge und Spannungen, die sich daraus ergeben, machen diese Ausstellung zu einer beglückenden Erfahrung.