Jürgen Teller gehört zu den berühmtesten Fotografen des Planeten und hat etwas geschaffen, was man eine eigene Ästhetik nennen kann. Diese basiert auf einem Geheimnis.
Irgendwie schafft er es, dass Menschen vor seiner Kamera Dinge tun, Posen einnehmen oder einfach schauen, so wie sie es sonst nie tun würden. Wirklich niemals. Wie bekommt er das hin?
Die Antwort kommt mir in kurzen pinken Shorts entgegen. Es ist Jürgen Teller selbst. Victoria Beckham hat er in einer Marc-Jacobs-Einkaufs-Tüte fotografiert, die Schauspiel-Legende Charlotte Rampling nackt am Klavier oder den Supermodel-Sonnenschein Claudia Schiffer mit verschmiertem Kajal und feuchter Kippe.
Er ist ganz anders als seine Bilder
Diese Menschen wissen, wie das Spiel vor der Kamera geht. Für Jürgen Teller verabschieden sich von ihrer Erfahrung, weil er es mit ihnen tut. Der Fotograf ist ein Mittäter, kommt oft selbst mit aufs Bild, auch gerne nackt.
Das ist befreiend. Für alle. Die Nacktheit, das Bunte, die Stars, der Glamour, wer jetzt jemand Lautes erwartet, sieht sich getäuscht.
Trifft man Jürgen Teller, kommt einem ein nachdenklicher Sparsam-Sprecher entgegen. In Winterthur zeigt er seine Schau «Enjoy your life» und als ich ihn an diesem Dienstagnachmittag fürs Gespräch treffe, muss nur noch das Licht gesetzt werden, sonst sei alles installiert und aufgebaut, sagt er mir.
Selten war Provokation stiller
Jürgen Teller will nach Hause. Keine Idealbedingungen für ein ausführliches Interview. Reden mag er sowieso nicht so richtig. Lieber zeigt er mir den Raum mit Charlotte Rampling.
Zu sehen ist eine an die Wand projizierte Video-Arbeit, in der die Actress nackt am Piano sitzt. Auf dem Instrument versucht sich Jürgen Teller im Schulterstand, ebenfalls nackt.
Selten war Provokation stiller. Es geht um Freundschaft, Vertrauen und um eine Form der Intimität, die nur entstehen kann, wenn gewisse Grenzen hinter sich gelassen werden.
Zehn Jahre hat der Fotograf gebraucht, bis er die Arbeit zum ersten Mal öffentlich zeigen wollte und konnte. Den Moment der Überwindung gibt es also auch für ihn. Immer noch. Davon zeugt vor allem eine Serie im Fotomuseum Winterthur.
Sein Blick packt einen
Klar zeigt Teller Werke mit den Wohlbekannten dieser Welt, beeindruckend. Erstaunlich aber sind die Bilder in einem Raum, an dessen einer Wand er das Wort Melancholia geschrieben hat.
Rund um die Melancholie gruppiert er Selbstportraits eines Menschen, der nicht nur das Schrille nach aussen kehren kann.
Als Besucher entsteht das Gefühl, der Fotograf schaue einen direkt an und zugleich durch einen hindurch. Sein Blick erzählt von Tagen ohne Hochglanz-Shootings, vom Zweifeln und Hadern. Tellers Instinkt für den richtigen Moment, seine Präzision zeichnen auch diese Bilder aus.
Unterdessen stehen wir vor einem überdimensionalen Portrait von Kristin Scott Thomas, ein britischer Schauspiel-Star im EU-Pullover. Jürgen Teller will jetzt wirklich weg. Er hat gezeigt, was es zu zeigen gibt. Aber bis jetzt hat er erst ein paar wenige Fragen beantwortet.
Der, den alle an sich ranlassen, lässt keinen an sich ran
Also, ein letzter Versuch: Ist er noch nervös bei Shootings? Wann weiss er, dass er ein gutes Bild gemacht hat? Und wann hat er gemerkt, dass er fotografieren kann? Es sind die einfachen Fragen, bei denen er den Zurückhaltenden für ein paar Minuten vergisst.
In diesem kurzen Interview sagt er auch, dass er niemals sicher sein kann, weil er ja immer Teil des Bildes ist. «Sicher bin ich sicher nicht. Ich bin ja immer mitten drin in den ganzen Arbeiten.» Und er spüre immer sofort, in der Situation, ob ein Foto gelungen ist.
Beim Interviewführen ist es ähnlich. Nach viereinhalb Minuten weiss ich, näher kommt man dem Menschen, der alle für sich einnehmen kann, nicht. «Ok?», fragt Jürgen Teller. Ich antworte: «Ja, vielen Dank. Mehr als OK.»