Kreativität und Kunst galten lange als Hoheitsgebiet der menschlichen Schöpferkraft. Doch Robotik und Künstliche Intelligenz, kurz «KI», haben hier längst Einzug gehalten und erobern die Kunstwelt.
Kunst und Künstliche Intelligenz sind einen untrennbaren Bund eingegangen. Welche Chancen und Gefahren solch eine Beziehung mit sich bringt, weiss Kunst- und Digitalisierungsexpertin Sabine Himmelsbach.
SRF: Kann die Künstliche Intelligenz eine Künstlerin sein?
Sabine Himmelsbach: Nein, sie kann lediglich Kunst produzieren, denn sie basiert auf Mustererkennungssystemen. Auch wenn Lernprozesse im Spiel sind, ist die Künstliche Intelligenz bloss ein abstraktes, codebasiertes Regelwerk.
Aber Künstliche Intelligenz kann kreativ sein, oder?
Ja, im vorgegebenen Rahmen schon. Aber sie dient in erster Linie als Werkzeug, die künstlerische Palette zu erweitern. Künstliche Intelligenz besitzt weder poetische noch intuitive Ansätze, die für Kunstschaffende von zentraler Bedeutung sind. Sie operiert lediglich nach deren Handlungsanweisungen.
Ein Kunstwerk verändert sich kontinuierlich, wenn es mittels KI direkt auf ihre Umwelt reagiert.
Roboter können ein Bild tausendmal exakt gleich zeichnen. Geht unter Einsatz von Robotern nicht das Kernelement der Einzigartigkeit in der Kunst verloren?
Computerbasierte Kunst kann ebenso einen einzigartigen Charakter aufweisen. So lebt und verändert sich ein Kunstwerk kontinuierlich, wenn es mittels KI direkt auf ihre Umwelt reagiert oder etwa eine Interaktion mit dem Publikum ermöglicht.
Worin besteht denn der Reiz, Künstliche Intelligenz und Robotik in die Kunst zu integrieren?
Einerseits im immensen Potenzial der Künstlichen Intelligenz, mit dem unvorhersehbare Bildwelten oder ungehörte Klänge erzeugt werden können. KI ist als komplexes künstlerisches Werkzeug vielfältig einsetzbar und dient bereits heute vielen KünstlerInnen als Inspirationsquelle, neue ästhetische Möglichkeiten auszuschöpfen.
Andererseits hat Kunst seit jeher die Gegenwart begleitet, insofern macht Kunst auch auf die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz in der Gesellschaft aufmerksam.
Was sind die Chancen und Herausforderungen an der Vermischung zwischen Kunst und Künstlicher Intelligenz?
Als Chance würde ich die immense Bandbreite an Schöpfungsmöglichkeiten bezeichnen, in der unzählige Bild- und Klangwelten durch den Einsatz von KI entstehen können. Wichtig dabei ist stets der verantwortungsbewusste Umgang mit diesen Systemen und den Datenbanken, mit denen sie gefüttert werden.
Die grosse Gefahr liegt darin, dass einseitige oder vorurteilsbelastende Sichtweisen eins-zu-eins auf das algorithmische System übertragen werden.
Angst muss man vor der Künstlichen Intelligenz nicht haben, denn deren sogenannte «Intelligenz» wird oft überschätzt.
Was tut die Kunst gegen diese Gefahr?
Viele Künstlerinnen und Künstler zeigen genau diese kritischen Aspekte auf und thematisieren in ihren Werken problematische Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, etwa Gesichtserkennung im Dienst eines Überwachungsstaates oder in Bewerbungsverfahren.
Solche Werke vermitteln uns eine neue Perspektive, regen zum Nachdenken an. Ausserdem zeigen sie auf, dass die Entscheide über den Umgang mit Künstlicher Intelligenz nicht den Tech-Giganten alleine, sondern der Gesellschaft und den politischen Gremien überlassen werden sollten.
Viele halten die KI für eine gefährliche Supermacht, andere verharmlosen sie. Wie stehen Sie dazu?
Künstliche Intelligenz wirft viele ethische Fragen und einen starken Reflexionsbedarf auf. Darin sehe ich den Mehrwert der Kunst, diese Fragen aufzugreifen und Diskussionen in der Gesellschaft auszulösen.
Angst muss man vor der Künstlichen Intelligenz nicht haben, denn deren sogenannte «Intelligenz» wird oft überschätzt. Statt gegen die Maschinen anzugehen, sollten Menschen zusammen mit Maschinen eine gemeinsame Zukunft anstreben.
Das Gespräch führte Nicolas Zumsteg.