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Kronleuchter-Fund mit Folgen Aus 300 Franken mach 8 Millionen – der Giacometti-Zauber

Wie ein britischer Künstler einen Giacometti-Kronleuchter im Antiquitätenladen aufspürte, der schon als verloren galt.

Aus reinem Bauchgefühl heraus aus 300 Franken mehrere Millionen zu machen, davon können selbst die gewieftesten Börsengurus nur träumen. Einem britischen Künstler ist genau das gelungen. Er selbst dürfte davon allerdings nicht mehr viel haben.

Als der britische Maler John Craxton in den 1960er-Jahren die Londoner Marylebone Road passierte, fiel ihm in der Auslage des Antiquitätengeschäfts «Denton’s» ein besonderer Kronleuchter auf. Das dekorative Objekt kam ihm bekannt vor. Craxton war überzeugt, dass der Kronleuchter einst von seinem Freund Peter Watson in Auftrag gegeben worden war – bei keinem Geringeren als dem Schweizer Künstler Alberto Giacometti.

Wer war Alberto Giacometti?

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Alberto Giacometti, geboren 1901 in der Schweiz, war ein bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts. Als Teil der surrealen Bewegung begann er in den 1920er-Jahren mit experimentellen Kunstwerken, die oft dünne, verzerrte Figuren und Landschaften zeigten.

Giacomettis Arbeiten zeichneten sich durch starke Linien und eine minimalistische Ästhetik aus. Der Schweizer war ein Pionier der modernen Bildhauerei und hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Kunstwelt. Er starb 1966. Seine Werke sind bis heute begehrte Sammlerstücke.

Auf Verdacht hin kaufte der Künstler den Kronleuchter für rund 300 Franken. In wenigen Wochen könnte dieser nun im Rahmen einer Auktion für 8 Millionen Franken versteigert werden.

Posthume Genugtuung

Die Provenienz des schmiedeeisernen Kronleuchters wurde nach einer Untersuchung durch das Auktionshaus Christie’s in Paris definitiv bestätigt. Es handelt sich um ein Werk Alberto Giacomettis aus den 1940er Jahren. Dessen geschätzter Wert beträgt 1,7 bis 2,9 Millionen Franken.

Das sei aber laut der Christie’s-Expertin Michelle McMullon eine konservative Schätzung: 2018 erzielte ein vergleichbarer bronzener Kronleuchter von Giacometti an einer Auktion umgerechnet 8'679'830 Franken.

Eine Frau preist während einer Auktion einen Kronleuchter an
Legende: Gute Kunst hat ihren Preis: Der bronzene Kronleuchtert von Giacometti während der Auktion im Jahr 2018. imago images/ZUMA Press

Dass Craxton mit seiner Vorahnung Recht behalten sollte, konnte er selbst nicht mehr erleben. Der Künstler starb 2009. An seiner Stelle setzte sich der «Craxton Memorial Trust» für die Herkunftsklärung ein und konnte nun letzte Zweifel ausräumen.

Provenienz mit Lücken

50 Jahre lang schmückte der Kronleuchter Craxtons Haus im noblen Londoner Stadtteil Hampstead. Zuvor hing er in der Lobby der Literaturzeitschrift «Horizon», die mit Namen wie George Orwell oder Dylan Thomas auf sich aufmerksam machte. Mitbegründer der Zeitschrift war Craxtons Freund Watson. 

Laut dem britischen «Guardian» habe Watson das Objekt zwischen 1946 und 1947 während einer Europareise bei Giacometti in Auftrag gegeben. Denn Watson war nicht nur Verleger, sondern auch bedeutender Kunstsammler moderner und surrealistischer Werke aus Kontinentaleuropa.

Später förderte er auch britische Talente wie Henry Moore und Lucian Freud. Auch John Craxton gehörte zu seinen Günstlingen. Als die Zeitschrift «Horizon» schliesslich eingestellt wurde, entfernte man den Kronleuchter aus Craxtons Haus und lagerte ihn ein. Bis heute ist unklar, wie er danach in das Londoner Antiquitätengeschäft gelangte.

Zwei Künstler, eine Wertsteigerung

Auch wenn Alberto Giacometti eher für seine Figuren bekannt ist, schuf der Schweizer rund ein halbes Dutzend Lüster. Der Kronleuchter für Peter Watson ist jedoch der einzige mit einer solch ungewöhnlichen Geschichte, wie der Kunstgutachter James Glennie dem «Guardian» mitteilte.

Mit seiner schwebenden Kugel erinnere er an Giacomettis berühmte surrealistische Skulptur «La Boule suspendue». Das unterstreiche seine Bedeutung. Die Tatsache, dass Giacomettis Werk im Haus eines anderen berühmten Künstlers zu sehen sei, erhöhe seinen Wert nur noch.

Radio SRF 2, Kultur-Nachrichten, 30.01.2022, 16:30

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