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Künstler am Existenzminimum Berlin wird den Kreativen zu teuer

Berlin ist ein Magnet für Künstlerinnen. Doch so attraktiv die lebendige Kunstszene für die Stadt ist, so prekär sind oft die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Kunstschaffenden.

Berlin hat nach New York die höchste Künstlerdichte. Die deutsche Hauptstadt ist ein Hotspot der zeitgenössischen Künste und zieht seit Jahrzehnten jedes Jahr noch mehr Kultur- und Kunstschaffende an.

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Wenn die Gentrifizierung zuschlägt
aus Kontext vom 05.07.2018. Bild: Keystone
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Bis vor wenigen Jahren waren die günstigen Lebenskosten neben der reichen Geschichte und dem vielfältigen Kulturangebot ein weiterer Pluspunkt für die Attraktivität von Berlin. Durch die rasant steigenden Immobilienpreise sind aber Wohnungs- und Atelierpreise teuer geworden und vertreiben Künstlerinnen und Künstler immer mehr aus den zentralen Stadtquartieren.

Besonders absurd an dieser Entwicklung: Gerade die lebendige Kunstszene macht Berlin attraktiv und zu einem Magnet für viele Kreative.

Kunst als Verlustgeschäft

Die Künstler seien das «symbolische Kapital» der Kulturstadt, sagt Hergen Wöbken vom Berliner Institut für Strategieentwicklung. Er hat gerade die dritte Studie über die Lebens- und Arbeitssituation der bildenden Künstlerinnen und Künstler in Berlin veröffentlicht. Die Resultate sind alarmierend.

«Immer mehr Kunstschaffende leben unter dem Existenzminimum. Nur ein kleiner Prozentsatz kann von der künstlerischen Arbeit leben», sagt Hergen Wöbken. Für viele sei die Kunst sogar ein Verlustgeschäft.

Wer nicht erbt, hat es schwer

Erschreckend eindeutige Ergebnisse hat die Studie auch in Bezug auf die fehlende soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern geliefert. 90 Prozent der Befragten droht eine Altersarmut.

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«Der Künstler und die Altersvorsorge»
aus Kontext vom 04.05.2017. Bild: Keystone
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«Die Hälfte aller in Berlin lebenden Künstlerinnen und Künstler muss mit einer Altersrente von gerade mal 280 Euro pro Monat rechnen. Wer nicht reich geheiratet oder geerbt hat, hat eine düstere Perspektive für die Zukunft», stellt Hergen Wöbken fest und fügt an, dass ihn das Ausmass selbst erstaunt habe.

Für Künstlerinnen besonders prekär

Besonders schwierig ist die Situation für Künstlerinnen. Sie werden nicht nur weniger gut bezahlt als ihre männlichen Kollegen, sondern ihre Werke werden auch weniger häufiger ausgestellt.

Wie in anderen Berufsgruppen übernehmen Künstlerinnen auch mehr Familienarbeit. Wenn sich unter den ohnehin prekären Verhältnissen Kind und Kunstkarriere nicht von vornherein ausschliessen.

Die Umfrage zeigt, dass Künstlerinnen zudem auch oft Gewalt erfahren: «Sexuelle Übergriffe ziehen sich für viele wie ein roter Faden durch das Leben und die Karriere. Das fängt mit dem Professor an, geht weiter mit Sammlern und Galeristen und hört dort noch lange nicht auf.»

Fassda, auf der in grossen Lettern "allet Gute kommt von oben" geschrieben steht.
Legende: Blinde Fördergelder als Lösung für die schwierige Situation von Künstlern? Hergen Wöbken hält das für den falschen Weg. Getty Images

Die Politik ist gefordert

Hergen Wöbken weist darauf hin, dass es sich bei der prekären Situation von Künstlerinnen und Künstlern nicht nur um ein soziales Problem handle. Sondern, dass die Resultate seiner Studie auf eine gesellschaftliche und kulturpolitische Herausforderung hinweisen: «Vermutlich sieht es in anderen Kunstsparten und vielen Bereichen der Kreativszene ähnlich aus.»

Arbeitswelten

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Wenig Lohn, die Angst vor Altersarmut, hohe Belastung oder Mobbing am Arbeitsplatz: Der Arbeitsalltag vieler Menschen in der Schweiz hat Schattenseiten.

«Kontext» thematisiert das in einer losen Folge von Sendungen in der Serie «Arbeitswelten».

Aber blinde Förderung sei nicht die Lösung, so Wöbken: «Sie würde höchstens noch mehr Künstler nach Berlin ziehen und damit das Prekariat sogar noch vergrössern.»

Es braucht einen Plan

Vielmehr schlägt er einen Kulturplan vor, wie es ihn schon in New York gibt. Darin müssten die Rahmenbedingungen und Perspektiven für die Zukunft ganz konkret festgelegt werden.

Denn: Noch kann man etwas tun, um Berlin als lebendigen Kulturstandort für Künstlerinnen und Künstler zu erhalten. Aber solche Entwicklungen geschehen nicht von selbst.

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