Zum Inhalt springen

Kulturerbe pflegen Martin Leuthold und die St. Galler Spitzenspitzen

Seit über 50 Jahren ist Martin Leuthold in der Textilbranche tätig. Er interpretiert jahrhundertealte Kreationen neu – mithilfe neuster Technik. Zu Besuch beim Designer, der Chanel und Co. zu seinen Kunden zählt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Designer Martin Leuthold ist seit 50 Jahren in der St. Galler Textilbranche tätig und kreiert Stoffe für die Haute Couture.
  • Leuthold lässt sich im St. Galler Textilmuseum von den historischen Stickereien inspirieren und setzt sich ein, das Kulturebe der Stickereien zu erhalten.
  • In seinem neusten Projekt druckt er Stickereien mit dem 3D-Drucker.

«Diese Spitzensammlung ist die Schatzkammer und die DNA der St. Galler Textilindustrie», sagt Martin Leuthold. Seine Augen leuchten, als er eine der vielen schmalen Schubladen aus einem der mächtigen Materialschränke zieht.

Serie «Das Kulturerbe»

Box aufklappen Box zuklappen

Fein säuberlich sind hier bis zu 500 Jahre alte Spitzen zwischen säurefreien Baumwolltüchern aufbewahrt. Hier lagert ein Handwerk, das heute niemand mehr beherrscht. «Diese unglaublich feinen Fäden, die es für diese kostbaren Spitzen bräuchte, gibt es gar nicht mehr», erklärt Leuthold.

Handgemachter Luxus

Voller Ehrfurcht packt Leuthold eine enorme Spitzendecke aus, die mit Doppeladler, anderen Figuren und reichhaltiger Ornamentik verziert ist.

Die zwei Quadratmeter grosse Decke sieht aus, wie ein maschinell hergestellter Scherenschnitt. Doch die Präzision ist handgemacht. Es ist eine Decke für den spanischen König aus abertausenden, feinen Fäden.

«An dieser Decke haben acht Klöpplerinnen während acht Jahren gearbeitet», erzählt Leuthold. Eine unvorstellbare Arbeit sei das. In unserer schnelllebigen, hochtechnisierten Welt sei diese Art von Luxus nicht mehr denkbar.

Inspiration aus der Antike

Er muss es wissen. Seit bald 50 Jahren ist Leuthold in der St. Galler Textilbranche tätig. Als Kreativdirektor der Jakob Schlaepfer AG entwickelt er mit seinem Team raffinierte Stoffe, die bei Modelabels wie Chanel, Louis Vuitton oder Vivienne Westwood begehrt sind.

Mann bewundert einen silbrigen Stoff.
Legende: Martin Leuthold und sein Team kreieren jährlich mehr als 1'000 Stoffe. SRF / Claudia Herzog

Der Druck, immer Neues und Ausgefallenes zu liefern, ist gross. Dem hält Leuthold entgegen, dass man eigentlich nichts Neues erfinden könne. «Die Antike ist unsere Zukunft», lautet sein Credo.

Leuthold studiert Vorhandenes, unter anderem die einzigartige Spitzensammlung im St. Galler Textilmuseum – und interpretiert die jahrhundertealten Kreationen neu.

#Kulturerbe2018

Box aufklappen Box zuklappen

2018 ist Europäisches Kulturerbejahr . 28 Länder beteiligen sich daran, auch die Schweiz. Die Initiative lenkt die Aufmerksamkeit auf die Leistungen des kulturellen Erbes für die Gesellschaft.

St. Gallen – das Mekka der Spitze

Aus ähnlichen Gründen hatte der Textilfabrikant Leopold Iklé damals im 19. Jahrhundert begonnen, Spitzen zu sammeln. Er brauchte kreativen Nachschub, also Vorlagen, für die Stickerei-Industrie.

Jetzt ist Iklés berühmte Sammlung mit über 20’000 kleinen und grossen Meisterstücken der Textilkunst Inspiration für den Stoffdesigner von heute. Allerdings gehen Martin Leuthold und sein Team viele Schritte weiter als Iklé.

Spitze aus dem 3D-Drucker

Sie haben mit der Hochschule für Kunst und Design Luzern einen dreidimensionalen Farbauftrag auf Stoff entwickelt. Mithilfe eines 3D-Druckers werden Stickereimotive aus Silikonpaste auf Tüll gedruckt.

«Hypertube» heisst der Stoff, der für aktuelle Haute-Couture-Kollektionen eingesetzt wird. Martin Leuthold ist gespannt, wie sich diese zeitgenössische Neuinterpretation der St. Galler Spitze entwickeln wird.

Mann inspiziert delikates Spitzenkleid.
Legende: Leutholds Stickereien sind weltweit gefragt: Modehäuser wie Chanel oder Louis Vuitton verarbeiten seine Stoffe. SRF / Claudia Herzog

Schatzkammer im Textilmuseum

Im Estrich des St. Galler Textilmuseums, wo die Spitzensammlung in den Schubladen der mächtigen Schränke lagert, bedeckt Leuthold die Metallspitzen aus Gold- und Silberfäden wieder sorgfältig mit Seidenpapier.

Er lächelt. «Unsere Hypertube-Variante mit den Goldpigmenten erinnert sehr an die Metallspitzen aus dem 18. Jahrhundert, oder?»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 5.1.2018, 08:20 Uhr.

Meistgelesene Artikel