Alain de Botton steht in der Ehrengalerie im Amsterdamer Reichsmuseum und schüttelt den Kopf. Dass im grössten Heiligtum des Landes die Glanzstücke der alten holländischen Meister, Rembrandts «Nachtwache» oder Vermeers «Milchmädchen», chronologisch aufgehängt sind, stört den in Zürich aufgewachsenen Briten enorm. «Thematisch ist dies das totale Chaos», stellt er ernüchtert fest. «Es ist, wie wenn man unterschiedliche Musikstücke gleichzeitig hört.»
Schon die Griechen wussten es
Genauso sinnlos wie das Anordnen der Gemälde nach Datum findet der Autor und Philosoph die kulturhistorischen Informationen auf den Schildern neben den Bildern. Die Namen der Werke und all die Angaben zur Biografie des Künstlers würden das Publikum bloss überfordern. Kunst sollte vielmehr eingesetzt werden, um unvoreingenommen eine bestimmte Lebenssituation zu verstehen. Alain de Botton referiert dabei auf die alten Griechen. Schon die hätten begriffen, dass Kunst therapeutisch sei.
Um seine Theorie zu beweisen, hat er zusammen mit dem britischen Kunsthistoriker John Armstrong eine eigenwillige philosophische Graffiti-Ausstellung zusammengestellt. Sie besteht aus gelben, überdimensionierten Post-It-Zetteln, die die beiden überall im Haus «angeklebt» haben. Und zwar nicht nur bei den Altmeistern oder den modernen Kunstwerken in den oberen Stockwerken, sondern auch etwa in der Garderobe, beim Eingang oder im Museums-Café.
Therapeutische Lektionen
Auf dem Post-It neben einem Prunk-Stillleben mit Zitronen, Trauben und einem grossen Krebs von Adriaen van Utrecht steht: «Mir ist diese ganze Konsumgesellschaft zuwider.» Handel betreiben – auch mit Luxusgütern – sei 1644 noch ein anständiges Geschäft gewesen. Das beweise diese Hommage, erläutert De Botton. Heutzutage sei die Angst vor Habgier so gross, dass vergessen werde, wie ehrenwert die Liebe zu materiellen Dingen sein könne. Dies ist die Lektion, die De Botton den Betrachtern dieses Stilllebens mit auf den Weg geben will.
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Der kahle Brite betätigt sich auch als Seelentröster. Das Begutachten des Spargelbundes von Edouard Manet sei beste Medizin gegen Liebeskummer. Die so nah beieinander liegenden langen weissen Stangen seien ein Symbol für Aufmerksamkeit. Und genau daran mangle es im Umgang mit unseren Liebsten.
Schlechte Gewohnheiten korrigieren
Zur Post-It-Sammlung gehören auch sechs thematisch eingerichtete Räume mit Zeichnungen. Im ersten Kämmerchen geht es um den schnöden Mammon, von der Habsucht bis zur Wohltätigkeit. De Botton spricht von didaktisch-moralistischen Kunstwerken, die unsere schlechten Gewohnheiten im Umgang mit Geld korrigieren sollten.
Ob die Besucherschar des Amsterdamer Reichsmuseums sich von Alain de Botton therapieren lassen will, muss abgewartet werden. Aber der Direktor des grössten Kunsthauses des Niederlande hat bereits augenzwinkernd verlauten lassen, er werde die Subventionen künftig nicht mehr beim Kulturministerium sondern beim Gesundheitsdepartement beantragen.