Als «Wiege des Designs» wird das Bauhaus oft bezeichnet. Doch zur Gründungszeit, im Jahr 1919, war dieser Begriff im deutschen Sprachraum noch nicht bekannt. Die Architekten, Maler, Musiker und Theaterschaffenden, die sich damals in Weimar versammelten, hatten das Ziel, einen neuen Typus von «Gestaltern» auszubilden: Künstler, die sich als Handwerker begreifen und ihre Arbeit in den gesellschaftlichen Kontext ihrer Zeit stellen.
Jolanthe Kugler, Kuratorin der Ausstellung «#allesistdesign» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein, erklärt: «Erst wenn man analysiert hat, wo die Gesellschaft steht und mit welchen Herausforderungen man es zu tun hat, kann man beginnen, Lösungen zu entwickeln.»
Die Aufgabe eines Gestalters war also im Verständnis der Bauhaus-Gründer sehr viel weiter gefasst als die eines heutigen Produktedesigners: Er sollte nicht nur schöne Objekte gestalten, sondern die ganze Gesellschaft. Jolanthe Kugler führt das auf die historischen Umstände der Bauhaus-Gründung zurück, über die der erste Teil der Ausstellung berichtet: 1919, als die Ausbildungsstätte nach dem Ersten Weltkrieg aus der Taufe gehoben wurde, wollten die Gründer aus den Trümmern eine neue Welt erschaffen. Die kreativsten Köpfe der Avantgarde arbeiteten in Weimar, später in Dessau, gemeinsam in den Werkstätten des Bauhauses. Viele der Objekte, die damals in einem experimentellen Prozess entstanden, gelten heute als Klassiker.
Nachwirkung der Ikonen der Klassischen Moderne
Solche Ikonen der klassischen Moderne kann man im zweiten Teil der Ausstellung bewundern. Da gibt es vertraute Alltagsobjekte wie die Kaffeekanne von Gerhard Marcks, die in einem von Bodum vermarkteten Modell bis heute weiterlebt. Oder die Wagenfeld-Leuchte, die eigentlich keines der Bauhaus-Ziele erfüllt: «Sie ist weder funktional, noch industriell herstellbar, noch günstig», sagt Jolanthe Kugler und fügt an: «Sie war schon damals wahnsinnig teuer, wird auch heute noch grösstenteils manuell hergestellt, und wenn Sie mal versuchen, ein Buch drunter zu lesen, kriegen Sie bald einmal Augenweh.» Dafür ist sie zeitlos schön – wie viele der Bauhaus-Kreationen, die bis heute nachwirken. Das zeigt eine Gegenüberstellung klassischer Stuhlmodelle von Mies van der Rohe oder Marcel Breuer und Entwürfen heutiger Designer.
Auch Gegenwartskünstler setzen sich derzeit im Vitra Design Museum mit Bauhaus-Positionen auseinander: Der deutsche Fotograf Adrian Sauer etwa hat aufgrund von historischem Bild-Material am Computer grossformatige Innenansichten der Modellhäuser in Dessau erstellt, in denen viele Künstler damals wohnten. Hier zeigt sich eindrücklich, wie nah viele Entwürfe aus den 1920er- und 1930er-Jahren an heutigen Vorstellungen einer geschmackvollen Einrichtung sind.
Gleichzeit wird deutlich, wie unterschiedliche Ideen in dieser stilprägenden Schule vertreten waren. So wirkt das Wohnzimmer des Ehepaars Gropius, bei aller formalen Klarheit, gemütlich und bewohnt, als ob der Tee auf dem Beistelltisch noch dampfen würde. Die Stühle in Mies van der Rohes unterkühltem Esszimmer hingegen sind so modellhaft streng gruppiert, als wäre es nicht erwünscht, dass jemals jemand Platz darauf nimmt.
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Meister der Kommunikation
«Das Bauhaus» gibt es also nicht, wie in dieser Ausstellung deutlich wird. Es ist eine erstaunliche Leistung, findet Jolanthe Kugler, dass die Vielzahl von Ideen und Strömungen innerhalb dieser Künstlergruppe bis heute als ein Stil wahrgenommen wird: «Jeder zog in eine andere Richtung, doch trotz dieser Uneinigkeit hat es die Gruppe geschafft, zu einer der bedeutendsten Kulturinstitutionen des 20. Jahrhunderts zu werden.»
Geglückt ist diese öffentliche Wahrnehmung dank hervorragender Medienarbeit, die der letzte Teil der Ausstellung thematisiert: «Die Bauhaus-Künstler waren Meister der Kommunikation», sagt Kugler und fügt an: «Ohne jede Berührungsangst nutzten sie die damaligen Medien für die umfassende Bild- und Textverbreitung.»
Das Bauhaus wurde so schon früh zum Mythos, und die Strahlkraft dieses Labels hält bis heute an. Im Vitra Design Museum wird deutlich, wie nachhaltig das heutige Verständnis von zeitlos schönem Design von dieser Schule mit dem weiten, gesellschaftlichen Begriff von Gestaltung geprägt ist.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28.9.2015, 12:10 Uhr.