Wie eng die Verflechtungen von Film und Fotografie sein können, zeigt Michelangelo Antonionis Meisterwerk «Blow-Up» von 1966. Der Fotograf Thomas (David Hemmings) meint auf Vergrösserungen seiner Aufnahmen – sogenannten «Blow-ups» – Hinweise auf einen Mord zu erkennen. Augenzeuge war er nicht, rein zufällig hat er mit der Kamera ein vermeintliches Rendezvous fotografiert.
Mit extremer Vergrösserung der Bilder verlieren sich die Konturen des Verbrechens, statt Klarheit entsteht eine grobkörnige Rätselhaftigkeit. «Looks like one of these paintings», sagt darauf die Freundin eines benachbarten Malers. Einer der Hinweise auf Antonionis Nähe zur Malerei.
Bilder aus dem vibrierenden London
Die Hauptrolle in «Blow-Up» spielt jedoch die Fotografie. Auf ihr liegt auch der Fokus der gleichnamigen Schau, die Walter Moser, Kurator der Albertina in Wien, in Zusammenarbeit mit dem Fotomuseum Winterthur konzipierte. Eine Ausstellung rund um den Film, mit einem breiten Spektrum, das von der Modefotografie über Pop-Art und Sozialreportage bis hin zur abstrakten Fotografie reicht.
Die berühmten Vergrösserungen sind zum ersten Mal in der Schweiz zu sehen. In fünf Teilen nimmt die Ausstellung Spuren zu den vielfältigen Themen des Films auf.
Mit filmischen Sequenzen werden inhaltliche Bezüge zu Antonionis Film geschaffen. Neben Film-Stills, die in wenigen fotografischen Bildern die Handlung nachvollziehen, werden Werke präsentiert, die in «Blow-Up» vorkommen: Beispielsweise Don McCullins Reportage-Fotografien, die der Protagonist im Film seinem Verleger präsentiert, und John Cowans Aufnahmen, die in Thomas’ Studio zu sehen sind. Ergänzt werden diese durch Bilder von David Bailey, Terence Donovan und Richard Hamilton, die die Stimmung des im Film gezeigten vibrierenden Londons widerspiegeln.
Der Kultfilm als Inspiration
Der Kurator der Ausstellung, Walter Moser, sieht in Antonionis Werk auch heute noch eine wichtige Inspirationsquelle für Künstler. «Es gibt immer wieder zeitgenössische Maler und Fotografinnen, die sich auf «Blow-Up» beziehen, wie beispielsweise Gábor Ösz oder Alicja Kwade, die 40 Jahre später den Tatort im Londoner Maryon Park fotografierte.»
Auch filmisch wurde das Werk zitiert: Brian De Palmas «Blow Out» (1981) etwa ist eine Art hörtechnisches Pendant, in dem anstelle des Bildes eine Tonspur akribisch untersucht wird, um einem Verbrechen auf die Spur zu kommen.
Eine weitere filmische Referenz ist «Up And Out» (1998) von Christian Marclay, das im Rahmen der Ausstellungs-Eröffnung im Filmfoyer Winterthur gezeigt wurde. Der US-amerikanische Künstler – berühmt für sein Monumentalwerk «The Clock» – schuf einen anspruchsvollen Experimentalfilm, indem er die Bilder von «Blow-Up» mit der Tonspur von «Blow Out» kombinierte.
Das Resultat: Zwei divergierende Geschichtsstränge, die durch Zufall hin und wieder verblüffende Bezüge finden und zu denen sich die Rezipienten einen individuellen dritten Strang spinnen. Für den Künstler spielt die Unberechenbarkeit des Zusammentreffens von Bild und Ton und der Zufall an sich eine zentrale Rolle: «Chance means everything!», betonte Marclay im Gespräch mit Walter Moser. Auch im täglichen Leben würde letztlich alles vom Zufall abhängen.
Wieviel gibt die Fotografie von der Wirklichkeit wieder?
Eine zentrale Perspektive, die sich Film und Fotografie in «Blow-Up» teilen, ist die des voyeuristischen Blicks. Der Film reiht sich ein zu Werken wie «La Dolce Vita» «Sex, Lies, and Videotape» oder «Peeping Tom», die allesamt im September im Filmfoyer Winterthur zu sehen sind.
Für Walter Moser hat der Film bis heute nichts von seiner Relevanz verloren. Mit der Digitalisierung und dem Internet hätten sich Antonionis medientheoretischen Überlegungen sogar noch verstärkt: «Dank den technischen Entwicklung ist heute jeder ein Fotograf, ein Regisseur. Dabei wird oft vergessen, dass wir als Bildbetrachter mit einem Mittel – einem Medium, das Wirklichkeit nur konstruiert – konfrontiert sind.»
Die von Antonioni gestellten Fragen seien nach wie vor zentral, so Moser: «Wieviel gibt die Fotografie von der Wirklichkeit wieder? Und wieviel ist von der Wahrnehmung des Betrachters abhängig?»