Das Atelier des Künstlers gilt als eine Art Hexenküche. Hier entsteht Kunst: Grosses und Kleines, Verzauberndes, Berührendes, auch Verstörendes. Die Künstlerwerkstatt als geheimer Ort der Stille, des Rückzugs, der Schönheit und ungebremsten Kreativität. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.
Ein Atelier muss man sich als junger Künstler erst einmal leisten können. Solange man studiert, stellen die Kunsthochschulen Werkräume zur Verfügung. Kein Grund also, sich schon näher damit zu beschäftigen. Kaum ist das Studium beendet, wird die Suche nach dem eigenen Atelier aber oft zum Härtetest. Wie finanziere ich es? Wie finde ich Menschen, mit denen ich den Raum teilen mag? Wo bekomme ich bestmögliche Bedingungen für wenig Geld? Als Künstler ist man zunächst freier Unternehmer. Mit einer Ware, die oft schwer verkäuflich ist.
Das Handy ist auch ein Atelier
Das Atelier ist heute mehr als ein Raum, in dem Kunst produziert wird. Oft findet es im Handy oder auf dem Laptop statt. Oder draussen, auf Reisen, an fremden Orten. Das Nachdenken, Ausprobieren, Machen geschieht unterwegs. Ein anderes Klima führt zu neuen Ideen.
So hat der Freiburger Künstler Fabian Marti 2013 im brasilianischen Bahia eine grosszügige Zwei-Personen-Hütte aus rosa Bauholzplatten zusammengezimmert und am Strand aufgestellt. Sein sogenanntes « Twohotel » dient als Atelier.
Andere Künstler sind eingeladen, sich zu bewerben. Am fremden Ort «frische Luft» zu atmen und frische Lust zu entwickeln fürs eigene Werk. An seiner Soloshow im Centre PasquArt in Biel, letzten Herbst präsentierte Fabian Marti sein Projekt.
Ein Blick ins fremde Notizbuch
Auch auf Kunstvermittler übt der Produktionsort des Künstlers eine starke Anziehung aus. « Das Atelier – Orte der Produktion » hiess vor zwei Jahren eine Ausstellung zum Thema, lanciert von Fanni Fetzer, der Direktorin des Kunstmuseums Luzern. «Das Atelier ist magisch», ist Fanni Fetzer überzeugt und besucht darum monatlich Künstlerateliers. «Eine Art Weiterbildung, etwas, das die Sinne schärft.» Vor den Begegnungen ist sie aufgeregt wie vor einem Rendezvous. «Es ist eigentlich ein wenig, wie im Notizbuch anderer Leute zu lesen».
Spannend ist das Atelier auch für den Kunstkonsumenten. Als im März im Rahmen des Ostschweizer Projekts «Offene Künstlerateliers» 300 Künstler ihre Türen öffneten, kam das Publikum in Scharen. Bewusst wählten die Organisatoren einen niederschwelligen Zugang zu den Ateliers, so Projektleiterin Brigitte Kemann. Bekannte Ostschweizer Stars wie Roman Signer oder Beni Bischof beteiligten sich allerdings nicht. Vielleicht wollten sie den Mythos vom Künstleratelier nicht zerstören.
Der geschützte Raum ist heute auch Kommunikationsort
Ein Atelier zu haben, das wünschen sich viele. Einen Ort ganz für sich. Niemand, der drängelt. Wo Kunst sich wie von selbst produziert. Doch es gibt auch banale Gründe: Es darf unaufgeräumt bleiben. Material kann gelagert und gehortet werden. Hier kann man einfach loslegen, produzieren. Der Alltag bleibt vor der Tür. Es kann aber auch ein einsamer Ort sein. Junge Künstler schliessen sich darum oft zu Ateliergemeinschaften zusammen.
Kostenteilung, Austausch, Inspiration, Netzwerken – alles Vorteile, die im Risikoberuf Kunst wichtig sind. Seitdem zunehmend Hochschulen Künstler ausbilden, überschwemmen ambitionierte Künstler den Markt. Es ist also sinnvoll, Allianzen zu bilden, Projekte gemeinsam anzugehen. Nicht im einsamen Rückzug, sondern im Netzwerk liegt die Chance, sich zu etablieren.
Es kann gut sein, dass das Künstleratelier als Elfenbeinturm ausgedient hat. Kunst wird zwar immer noch produziert, die zündende Idee kann aber auch durchaus in der Strassenbahn entstehen.