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Eine mit Stoff umwickelte Puppe.
Legende: Das Tuntschi aus dem Calanca-Tal ist die einzige real existierende Sennenpuppe – heisst es. Rätisches Museum

Kunst Das Schandobjekt Tuntschi entpuppt sich als Kulturgut

Der Volksmund flüstert etwas von Berglern, die aus Stroh Ersatzfrauen basteln. Künstler sprechen erstmals laut über die abgründige Alpensage. Daraufhin ist der öffentliche Aufschrei gross. Heute wird das Sennentuntschi als ein Stück Schweizer Kultur präsentiert. Eine merkwürdige Geschichte.

Lebensgross reisst sie auf Plakaten den Mund auf: die eigentlich 40 Zentimeter kleine Puppe. Dieses Tuntschi ist die einzige real existierende Sennenpuppe – heisst es. «Mit brauner Farbe angemalt, richtige Frauenhaare. Diente dem Alppersonal als Ersatzfrau», so führt das Rätische Museum das Objekt der Bergler-Begierde seit Mitte der 1980er-Jahre in der Kartei.

Für die Sonderausstellung «unschuldig unheimlich – Das Sennentuntschi» rückt das Museum das sagenumwobene Bündel wieder ins öffentliche Interesse. Volkskundler Peter Egloff ist irritiert: wegen der grossen Ausstellungsplakate mit Puppe und der Interviewanfrage. Für ihn ist das eine alte Geschichte. Er erzählt sie nochmal, aber nur kurz und eher ungern.

Niemand wollte was wissen

1978: Mit zwei Freunden wandert Peter Egloff – damals junger Student der Volkskunde – durch das Calanca-Tal. An einer heruntergekommenen Hütte treffen sie auf einen alten Dorfbewohner. Dieser hat bei Renovierungsarbeiten einen sagenhaften Fund gemacht: ein Sennentuntschi. «Bis dahin existierte die Puppe nur als Sage, man hatte nie zuvor eine gesehen. Das war schon eine kleine Sensation.»

«Für 10 oder 20 Franken» kaufte Peter Egloff die Puppe und verstaute sie, eingeschnürt in einer Schachtel, in seinem Studentenzimmer. Nachforschungen im Dorf haben nichts ergeben: Niemand wollte etwas mit der Puppe zu tun haben. Niemand wollte wahr haben, dass sich im eigenen Dorf ein Mann mit einer Puppe vergnügt haben könnte und dass diese – zu allem Übel – als Rächerin zum Leben erwacht sein soll. Von wann das Sennentuntschi also ist? Ob sie tatsächlich als Ersatzfrau diente? Das weiss offenbar niemand. Eine merkwürdige Geschichte.

Ausstellungshinweis

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«unschuldig unheimlich – Das Sennentuntschi» läuft bis zum 21.02.2016 im Rätischen Museum in Chur.

Mitte der 1980er-Jahre gab der Volkskundler Peter Egloff das «Tuntschi von Masciadon» an das Rätische Museum. Seitdem geistert ihm weniger die gefundene Puppe durch den Kopf, als das Erstaunen darüber, wie sich die Reaktionen auf den Sagenstoff verändert haben.

1972 löst das Theaterstück «Sennentuntschi» von Hansjörg Schneider einen Skandal aus: Da zerstört jemand das Bild vom sittsamen Bergler im Alpen-Idyll; durch die Geschichte einer beseelten Puppe, durch sexuelle Tabulosigkeit und vulgäre Ausdrücke. Mit der Ausstrahlung der TV-Fassung 1981 kommt es zum Eklat, zur Strafanzeige gegen das Schweizer Fernsehen.

Sennentuntschi wird ein Stück Swissness

Darüber will Peter Egloff heute reden, das ist für ihn das Interessanteste an der ganzen Geschichte: «Rechtskonservative Kreise prügelten auf das Stück los, gingen bis zur Strafanzeige wegen unzüchtiger Veröffentlichung. Dann, 30 Jahre später, feiern dieselben Personen bei der Premiere den Sennentuntschi-Film von Michael Steiner als ein Stück Swissness.»

Auch wenn sich in der Zwischenzeit – von der Theaterpremiere 1972 bis zu Michael Steiners Verfilmung 2010 – viel verändert habe, so zeige das doch, wie Menschen sich zu bestimmten Zeiten und zu bestimmten Zwecken Mythen aneignen.

Heute ist die Puppe Schweizer Kulturgut

Tatsächlich schocke auch der Anblick «der echten Puppe» heute niemanden mehr, erzählt Silvia Conzett, Kuratorin der kleinen Sennentuntschi-Ausstellung im Rätischen Museum. «Viele Menschen schauen etwas verstört oder auch mitleidig auf die Puppe», die zur Zeit zwischen zeitgenössischen Darstellungen der Sage ausgestellt ist. Die Ausstellung zeigt: Das sagenumwobene Sennentuntschi ist aus den Tiefen der Sagenwelt heraus – und im Heute angekommen.

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