Wie kommt es, dass Bilderfunde von alten Meistern immer wieder für ganz grosse Schlagzeilen sorgen?
Andreas Beyer: Speziell von Leonardo da Vinci gibt es sehr wenige Werke: Wir haben zwischen 15 bis 20 Gemälde, die meisten davon unvollendet, die wir Leonardo verlässlich zuschreiben können. Darüber hinaus sind seine Porträts – gerade wenn man an die Mona Lisa denkt – besonders bedeutend in seinem Werk. So ist ein vermeintlicher Leonardo immer eine Sensation.
Sie sagen, das Bild stamme nicht von Leonardo da Vinci. Warum sind Sie da so sicher?
Zunächst ist ganz offensichtlich, dass das Gemälde Attribute hat, die auf Leonardos Zeichnung im Louvre in Paris gar nicht existieren. Der Palmwedel und die Krone gehören nicht zur Ikonografie der «Isabella d'Este», das sind eher die Attribute einer Heiligen. Das lässt vermuten, dass derjenige, der sich von Leonardos Zeichnung inspirieren liess, offenbar nicht wusste, um wen es sich bei der Dargestellten handelt.
Ausserdem ergab eine Untersuchung, dass die Farbpigmente aus einem Zeitraum von 1450 bis 1650 stammen können. Dieser Zeitraum ist sehr elastisch: 200 Jahre. Ich halte es für sehr viel wahrscheinlicher, dass es sich bei dem Gemälde um eine Nachempfindung handelt.
Sie sagen Nachempfindung. Warum reden Sie nicht von einer Fälschung?
Das Wort Fälschung impliziert immer eine kriminelle Energie. Aber so weit will ich gar nicht gehen. Dass Motive besonders geschätzter Meister nachempfunden wurden, gibt es in der Kunstgeschichte immer wieder. Es kann durchaus sein, dass ein Maler des 17., 18., vielleicht auch des 19. Jahrhunderts sich von der ihm bekannten Zeichnung inspirieren liess. Er wollte vielleicht ein leonardeskes Gemälde schaffen.
In Italien scheint man ganz anderer Meinung zu sein. Carlo Pedretti, ebenfalls Kunsthistoriker, hat das Bild im Jahr 2013 untersucht. Er hielt es für echt, und zwar zu 95.4 Prozent, wie er dem «Corriere della Sera» mitteilte.
Pedretti ist ein verdienter, sehr alter Kollege, der sich viele Jahrzehnte mit Leonardo beschäftigt hat. Seine Argumente sind aber sehr kennerschaftlich. Er spricht vom «sfumato», also von den leicht verwischten Farben und Konturen, was für Leonardo typisch sei. Nun hat das aber jeder, der Leonardo nachmalen wollte, auch gewusst und in dieser Art dann ein Gemälde geschaffen. Für mich ist das kein stichhaltiges Argument.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 11.2.15, 06:45 Uhr