Das letzte Bild, das Rémi Ochlik aus Syrien übermittelte, zeigt ein geheimes Begräbnis. Nur die Scheinwerfer eines Autos erhellen die unheimliche Szenerie. Männer stehen aufgereiht, die Köpfe gesenkt. Es sind Widerstandskämpfer. Ihre Toten müssen sie im Dunkeln und ausserhalb der Friedhöfe begraben, um nicht ins Feuer der syrischen Armee zu geraten. Das
Bild wirkt nachträglich wie ein böses Omen. Zwei Tage später starb der Autor der Fotografie, Rémi Ochlik, 28-jährig beim Bombardement eines geheimen Pressezentrums durch die syrische Armee.
Ochliks Bestimmung lag draussen im Feld
Die internationale Anteilnahme war gross. Der Tod Ochliks rief allen Berufsleuten in Erinnerung, dass sich das Risiko niemals bannen lässt. Rémi Ochlik galt als erfahrener undbesonnener Fotoreporter, trotz seiner jungen Jahre. Schon mit 20, damals noch Student an der Fotoschule, lernte er den Krieg kennen.
Für seine Diplomarbeit reiste er nach Haiti. Dort fotografierte er den Sturz des Machthabers Aristide. Eindrücklich schilderte er in einem Essay, wie er Todesangst durchlitt, an einer Strassensperre, ausgeliefert einer Gruppe von Soldaten auf Crack, zu allem fähig. Dennoch liess ihn die Kriegsberichterstattung nicht mehr los. Er hatte im wahrsten Sinn Blut geleckt.
Doch zuerst folgten Jahre des Durchdienens in Paris. Die Eintönigkeit der Pressekonferenzen langweilte ihn, wie sein bester Freund, Christoph Bertolin, im Gespräch berichtet: «Rémi war in Paris nicht glücklich. Die alltägliche Arbeit und die Pressekonferenzen langweilten ihn. Plötzlich kam der Arabische Frühling, da ist er sofort hingereist.»
Beiden war schon damals klar, wo die eigentliche Bestimmung Ochliks lag: draussen im Feld, wo Zeitgeschichte geschrieben wurde. Zusammen gründeten sie 2005 die Fotoagentur IP3 Press. Als dann Tunesien Ende 2010 zu beben
begann, als sich die Massen erhoben und sich ein Flächenbrand entzündete, reiste Ochlik kurzentschlossen hin. Nach wenigen Tagen fiel sein enger Freund, der Fotojournalist Lucas Dolega, durch ein Geschoss der tunesischen Polizei.
Die Ungeheuerlichkeit des Krieges auf den Punkt gebracht
Rémi Ochlik erlebte alles aus nächster Nähe. Der Freund verstarb in seinen Armen auf dem Weg ins Krankenhaus. Ochlik schwor sich, weiterzumachen, für seinen Freund. Es folgten fast sämtliche Stationen des arabischen Frühlings: Ägypten, Libyen, abermals Ägypten, Syrien.
Entstanden ist manch ikonisches Bild, das in der Welt Schlagzeilen machte: der Leichnam Gaddafis in Sirte. Ein Aufständischer, der vor der lybischen Fahne kauert. Das Bild brachte Ochlik einen World Press Photo Award ein.
Aber auch hintergründige, intime Bilder finden sich wie das schmerzverzerrte Gesicht eines Mannes: Er hat soeben erfahren, dass sein Bruder von den Sicherheitskräften zu Tode gefoltert wurde.
Oder die Aufnahme aus dem Fenster eines fahrenden Wagens: Sie zeigt ein Haus mit einem Bombenkrater in der Wand. Düster, unheimlich, bringt es die Ungeheuerlichkeit des Krieges auf ungesehene Weise auf den Punkt. Gestaltungskraft und scharfe Beobachtung mischen sich darin zu etwas Seltenem in der Newsfotografie: Autorschaft, Handschrift.
Ein Monument für die Kriegsberichterstattung
Der gewaltsame Tod des Fotojournalisten hat eine Debatte neu entzündet: Ist Rémi Ochlik ein zu grosses Risiko eingegangen? Ist das Risiko überhaupt kalkulierbar? Christoph Bertolin, Ochliks Vertrauter, nimmt seinen Freund in Schutz: Er wusste genau, was er tat. Er war keiner dieser jungen Hitzköpfe, die der arabische Frühling zu Hauf geboren hat: hungrige, abenteuerlustige Neulinge, die in die Krisengebiete fahren und ihre Bilder feilbieten.
Jede Woche erhält Bertolin solche Anfragen. Er sagt ihnen dann, sie gefährdeten nicht nur sich selber, sondern alle anderen vor Ort. Es existiert bereits ein Name für die frisch initiierten Draufgänger: «la génération printemps arabe».
Der im Verlag emphasis.is, dem Crowdfunding-Portal für Fotojournalismus, erschienene Fotoband setzt Rémi Ochlik ein Denkmal. Mehr noch als einem Einzelnen aber ist er ein Monument für eine Profession an sich: die Kriegsberichterstattung.
Man darf sich sehr wohl fragen, was solche Bilder überhaupt bewirken. Tragen sie zur Aufklärung bei? Zum Handeln? Rütteln sie wach, oder erzeugen sie durch ihre schiere Masse Abstumpfung und Gleichgültigkeit? Für beides gibt es in der Fotogeschichte Belege. Fest steht jedoch: Der Fotojournalismus ist und bleibt ein Stachel im Fleisch all jener, die am liebsten wegschauen.