Beinahe alle grossen Künstler widmeten sich in ihrer Arbeit der nackten Frau. Der Männerakt hingegen ist sehr viel seltener, auch wenn sich eine Ausstellung Musée d‘Orsay momentan damit beschäftigt. Doch auch in der Pariser Ausstellung ist augenfällig: Es gibt kaum Frauen, die sich den Männerakt vorknöpfen. Eine, die das ändern möchte, ist die Berliner Fotografin Paula Winkler.
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Sie sagt: «Es gibt viele Männerakte, die stehen aber eher in der Schwulentradition. Ich schau diese Bilder zwar gerne an, ich weiss aber auch, dass ich als Betrachterin nicht damit gemeint bin.» So wollte die Berliner Fotografin herausfinden, wie ein Männerakt aussehen könnte, der an «Frauen wie mich gerichtet ist», wie sie mit einem halb verlegenen Lacher sagt.
Von der Sexplattform ins Hotelzimmer
Für ihre erste Arbeit hat Paula Winkler deshalb über Sex-Plattformen Kontakt zu Männern aufgenommen. Per E-Mail-Austausch ging es zunächst darum, klar zu machen, dass sie «nur» an einem Akt-Foto interessiert sei. Ausserdem galt es herauszufinden, ob die Männer einigermassen attraktiv sind. Dann hat sie sich mit den Ausgewählten allein und ohne Assistenten in verschiedenen Hotelzimmern getroffen.
«Ich habe klar formuliert, dass es nur ums Foto geht, aber ich denke schon, dass da auch Spielraum für Phantasie war», sagt Paula Winkler. «Trotzdem war es auch für die Männer interessant, sich in so eine Situation zu begeben. Es hatte etwas von einem Rollenspiel.»
Die Arbeiten wurden 2011 in Wiesbaden und Anfang 2013 in einer Berliner Galerie unter dem Titel «Exceptional Encounters» ausgestellt. Mit Erotik hätten die Männerakte, so die Fotografin, wenig zu tun. Vielmehr ging es ihr um den dokumentarischen Charakter, um die Kontaktaufnahme via Internet oder die Fremdheit.
Der Mann als Objekt der Begierde
In ihrer aktuellen Arbeit widmet sich die Künstlerin wieder dem Männerakt. Doch dieses Mal will sie ganz bewusst den Mann als Lustobjekt inszenieren. In ihrem kleinen Kreuzberger Appartement, das sie für diese Serie zum Fotostudio zweckentfremdet, hängen überall nackte Männer an der Wand, zum Teil in aberwitzigen Verrenkungen. Die ersten Fotoaufnahmen dieser neuen Serie hat sie mit Artisten gemacht. Da lag es nahe, deren artistisches Talent gleich mit zu inszenieren.
Die Posen machen allerdings eher Angst, wirklich erotisch wirken sie nicht. Es sei nicht leicht, Männer zu finden, die bereit sind, sich vor der Kamera auszuziehen. «Männer sind überhaupt nicht gewohnt zu posieren. Eine Frau weiss sofort, wie sie sich hinzusetzen hat.» Paula Winkler ist es wichtig, die Männer nicht lächerlich wirken zu lassen.
Ein Glas Sekt zur Auflockerung
Wie schwierig das ist, erleben wir beim Fotoshooting mit Peter, einem Modell, mit dem die Fotografin schon früher gearbeitet hat. Der 45-Jährige mit den langen blonden Haaren wirkt ein wenig verlegen. Doch aus Neugier, wie er sagt, lässt er sich auf die Situation ein. Nach kurzem Vorgeplänkel und einem Glas Sekt am frühen Morgen weicht die erste Verlegenheit. Blitzschnell hat Peter sich ausgezogen und sitzt auf dem Hocker, den die Fotografin dem 2-Meter-Mann hingestellt hat.
Der Hintergrund, ein knallgelber Vorhang, beisst sich fast mit Peters Haaren. Doch Paula, die in ihrem Vintagekleid, der Goldbrille und den hochgesteckten hellblonden Haaren wie aus einer anderen Zeit scheint, macht das sehr gut. Warmherzig, lustig und professionell überspielt sie kleine peinliche Momente. Es geht um die Arbeit, Posen werden ausprobiert, die Nase gepudert. Immer wieder soll Peter seine Haare inszenieren.
Mit nackten Männern zum internationalen Renommee
Kaum ein anderes Genre ist so konstruiert wie der Akt, der scheinbar natürlich daherkommt. «Bilder prägen unser Verständnis der Realität und der Geschlechterrollen. Ich möchte an diesem Diskurs einfach auf visueller Ebene teilhaben», so Paula Winkler. «Ich sehe einfach nicht ein, warum es Männern vorbehalten sein soll, nackte Körper abzubilden. Ich will da mitmischen.» Das Konzept scheint zu funktionieren. 2014 ist Paula Winkler als eine der drei deutschen Teilnehmer an den renommierten European Photo Exhibition Award nach Oslo eingeladen. Ein Schritt zu internationalem Renommee.
Nach rund zwei Stunden ist das Shooting mit Peter vorbei. Gemeinsam trinken sie noch ein Glas Sekt und verabschieden sich. Das Model durfte von seinen Bildern kein einziges anschauen. Nur jenes, das Teil der Arbeit sein wird, bekommt Peter am Ende zu sehen. So haben das die männlichen Künstler mit ihren weiblichen Modellen in den letzten Jahrhunderten vermutlich auch gemacht.