Pjotr Pawlenski versteht Kunst als Protest, als einen Akt des Widerstands in der zunehmend gleichgeschalteten russischen Öffentlichkeit. Mit ganzem Körpereinsatz provoziert der 1984 in St. Petersburg geborene Kunstaktivist die Staatsmacht.
Dieser Körpereinsatz ist für die Behörden auch eine ganz praktische Herausforderung. Wie verhaftet man einen Mann, der sich nackt in Stacheldraht eingewickelt hat? Wie gehen Polizisten etwa mit einem Mann um, der sich auf dem Dach der Psychiatrie ein Ohrläppchen abschneidet? Und wie bringen Beamte möglichst schnell einen nackten Mann fort, der sich vor dem Lenin-Mausoleum mit einem Stahlnagel durch die Hoden am Roten Platz festgenagelt hat?
Wenige Sekunden, viel Aufmerksamkeit
Pawlenskis jüngste Aktion nun brachte den Künstler hinter Gitter. «Ugrosa» (dt. Bedrohung) ist der Titel einer Performance, bei der Pawlenski am 9. November 2015 eine Tür des russischen Geheimdienstgebäudes an der Lubjanka in Brand setzte.
Es dauerte 30 Sekunden, bis er verhaftet wurde. Aber das Bild des hageren Künstlers im schwarzen Kapuzenanorak vor der brennenden Lubjanka war schon in der Welt. Ein Bild höchster Symbolkraft, denn mit dem Sitz des Geheimdienstes verbindet sich seit der Stalinzeit der Terror der russischen Staatsmacht.
Umständliche Anklage
In einer ersten Anhörung verlangte Pjotr Pawlenski entweder freigelassen oder wie der ukrainische Filmemacher Oleg Sentsov als Terrorist verurteilt zu werden. Sentsow wurde im August 2015 zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er angeblich als Kopf einer terroristischen Vereinigung unter anderem die Zentrale der Kremlpartei «Einiges Russland» auf der Krim in Brand gesetzt haben soll.
Pawlenskis provokative Parallelisierung der Fälle stellt die russische Justiz offenbar vor eine weitere Herausforderung. Die umständliche Anklage gegen den Aktionskünstler lautet «Vandalismus aus ideologischem Hass».
Möglichst wenig Öffentlichkeit
Der vorerst letzte Gerichtstermin fand am 24. Dezember statt. Ein Termin, der wenig Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit sicherstellte. Auch für den 7. Januar war ein Gerichtstermin vorgesehen, der jetzt auf Anfang Februar verschoben wurde.
Eine Politik des Hinhaltens und Verwirrens, sagt Oksana Schalygina, Pawlenskis Lebens- und Kunstgefährtin. Sie erzählt, dass der Geheimdienst ihr Telefon überwache und die Gespräche der Anwälte abhöre.
Der Beamten-Bekehrer
Pjotr Pawlenski versteht Verhöre, Gerichtsverhandlungen und Haft als Teil seiner politischen Performances. Pawlenskis geschulte Rhetorik muss den russischen Behörden ein Gräuel sein. Immerhin brachte der Performancekünstler in einem früheren Verfahren den diensthabenden Ermittler, Pawel Jasman, dazu, seinen Job zu quittieren.
Jasman sollte Pawlenski im Frühjahr 2014 wegen einer Protestaktion gegen den Ukraine-Krieg hinter Gitter bringen. Doch im Zuge der Vernehmungen wechselte der Staatsbeamte die Seite. Er habe Pawlenskis Motivation und Handlungen verstanden, sagte Jasman. Er arbeitet heute als Rechtsanwalt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 7.1.2015, 6:50 Uhr