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Kunst Ein Künstler risikiert Kopf und Kragen

Kunst ohne Risiko – geht das überhaupt? Nein, behauptet der österreichische Aktionskünstler Flatz und tritt mit seinen riskanten und brutalen Performances den Beweis an. Flatz riskiert einiges mehr als üblich, wenn er den eigenen Körper zum Medium seiner Kunst macht.

Man hält es kaum aus. Tiflis, die alte Synagoge, Silvesternacht 1990/91: Zwischen zwei Stahlplatten hängt an den Füssen, den Kopf nach unten, ein nackter Mann. Ein zweiter lässt diesen Körper, von einem Seil gezogen, hin- und herpendeln und gegen den harten Stahl prallen wie den Klöppel einer Glocke. Nach einigen Minuten wird dieses menschliche Pendel bewusstlos. Dann baumelt der Körper nur noch, Musik erklingt – ein elegantes Paar tanzt den «Donauwalzer» von Johann Strauss.

Der menschliche Glockenklöppel, der seinen Körper äusserstem Risiko aussetzt, ist der Österreichische Aktionskünstler Wolfgang Flatz. Es war seine spektakulärste Aktion, eine Anspielung auf eine Foltermethode aus der Zarenzeit, als man Gefangene in eine Glocke hängte bis sie zur Aussage bereit waren.

Der Körper als Material

«Mein Körper ist für mich wie die Farbe oder die Leinwand für den Maler. Er ist für mich das spannendste Arbeitsmaterial», meint Flatz lapidar. «Und das Risiko ist mir bewusst. Es gab Aktionen, die gefährlich waren, riskant, aber ich wusste immer, ich hab' das im Griff.»

Flatz spielt mit der Wahrnehmung von Schmerz. Er lässt den Zuschauer schauern, er lässt ihn den Schmerz mitempfinden, um zu berühren, Reaktionen auszulösen. «Jeder Mensch hat Angst vor Schmerzen, ich natürlich auch. Das ist wie bei Folterszenen. Wenn du zusehen musst, dann erträgst du es nicht. Obwohl du den Schmerz nicht selber persönlich erfahren hast. Aber die Übertragung, das Wissen, die intellektuelle Verarbeitung, das Erkennen, das ermöglicht schon, dass man sich damit auseinandersetzt», sagt Flatz.

Der biografische Schmerz

Flatz mit Kapuze und Sonnenbrille. Er trägt einen Arbeitshandschuh und zieht an einer Zigarette. In der Brille spiegelt sich die Installation «Belle Etage», ein Wohnwagen auf einem Baum.
Legende: Seine Kunst geht dahin, wo's weh tut: Wolfgang Flatz. ZVG

Wer ist dieser Flatz? Warum riskiert er Kopf und Kragen mit seiner Kunst? Im Flatz-Museum, das seine Heimatstadt Dornbirn in Vorarlberg seinem Werk widmet, kann man seinen Weg verfolgen. Videos, Skulpturen, Collagen und Malerei zeigen einen vielseitigen, brachialen Künstler, der Autos, Motorräder und Rollstühle in martialisch-poetische Vehikel verwandelt, in abgefackelte Schönheiten. Dort ist auch seine Rauminstallation «Bodycheck/Physical Sculpture No. 5» zu sehen, mit der er 1992 auf der Documenta IX vertreten war: eng aneinander hängende Sandsäcke, wie Boxer sie beim Training verwenden. Wer weitergehen will, muss sich da durchzwängen. Eine körperliche Erfahrung.

«Erfahrung von Schmerz, Erniedrigung und Gewalt»

Flatz ist in Dornbirn aufgewachsen, in einem engen, kalten, katholischen Milieu. Schläge und körperliche Züchtigung waren an der Tagesordnung. «Das Erziehungsmodell des 19. Jahrhunderts», meint er flapsig. «Doch diese Erfahrung von Schmerz, Erniedrigung und Gewalt hat dazu geführt, dass es mich immer interessiert hat, damit auch umzugehen.»

Er schont sich nicht, macht die Biografie zum Material. In einer seiner ersten Performances stellte er sich stundenlang an die Stelle einer Strasse, an der er einen schweren Verkehrsunfall verursacht hatte. Mit einem grossen Schild – seine Schuld bekennend. Prompt wurde er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert.

Flatz verliess das repressive Klima seiner Heimat und ging nach München, wo er bis heute lebt und seine verstörenden Aktionen, Objekte und Skulpturen plant. Oft tangiert er die Grenzen zur Populärkultur, macht sich ihre Mechanismen zu eigen. Schrill und provokant, ein Extremist der Kunst, der genussvoll jedes Risiko sucht. Flatz geht dorthin, wo's weh tut.

Eine Kuh stürzt vom Himmel

Eine unvollständige Liste seiner Arbeiten: In einer Stuttgarter Galerie liess er sich mit Dart-Pfeilen bewerfen, für jeden Treffer gab es 500 Mark. In Zeiten von BSE liess er einen Kuhkadaver aus dem Berliner Himmel stürzen, flog selbst, mit einem Seil an einem Helikopter befestigt, wie ein blutiger Engel durch die Nacht. Auf der Münchner Praterinsel verfrachtete er einen vergoldeten Wohnwagen in eine Baumkrone. Er entwarf eine Postkarte mit dem Zitat: «Fressen, ficken, fernsehen». Vor drei Jahren sperrte er sich selbst in Rom in eine Gefängniszelle ein, bis ihn die Polizei hinaus prügelte. In einer Innsbrucker Galerie liess er sich kahl scheren und schmetterte zu den Worten «Schuldig!» oder «Nicht schuldig!» seinen Kopf gegen Stahlbleche, bis er blutete.

Flatz geht volles Risiko, weil er ständig Grenzen auslotet. Was ist Kunst? Wie weit kann Kunst gehen? Was ist möglich? Seine Arbeiten kreisen immer wieder um den Begriff Freiheit. «Zu Freiheit», sagt er, «gehört unter anderem auch Angstfreiheit. Und um angstfrei zu werden, oder sich dem anzunähern, muss man sich mit der Angst auseinandersetzen. Also geht man auch ein Risiko ein. Und geht auch an seine Schmerzgrenzen. Körperlich und psychisch.»

Die andere Seite

Aber es gibt auch einen anderen Flatz, den poetischen. Den, der in der Nähe des Münchner Flughafens auf einer Wiese den Satz «Ich bin vergänglich» pflanzt. Wer drüber fliegt, kann es lesen. Oder den phantasievollen Architekten, der alte Fabrikhallen umgestaltet oder das Dach eines Hochhauses in eine skurrile Skulpturenwelt verwandelt. Mit Chevrolets, Helikoptern, Friedhofskreuzen, Wohnwagen und anderen poetischen Objekten – alle made by Flatz.

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