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Eine Ratte in einem Käfig, auf die ein rotes Fadenkreuz gerichtet ist.
Legende: Das Fadenkreuz ist schon da, doch noch lebt die Ratte: Nach Ablauf des Countdowns wird die Pistole scharf gestellt. Florian Mehnert

Kunst Eine Ratte per Mausklick töten – als Kritik am Drohnenkrieg

Ein Kunstprojekt sorgt für Furore: Eine Laborratte wird per Live-Stream permanent überwacht und, nach Ablauf eines Countdowns, zum Abschuss freigegeben. Die Ratte kann dann von jedem Computer aus getötet werden. Der Künstler will damit den Drohnenkrieg kritisieren – und erhält nun Morddrohungen.

Mit der digitalen Überwachung und ihren gesellschaftlichen Folgen beschäftigt sich Florian Mehnert seit Jahren. Die Projekte des süddeutschen Künstlers sorgen regelmässig für Aufruhr, denn sie provozieren geschickt und zeigen gesellschaftliche Schwächen auf. Seit wenigen Tagen läuft sein neues Kunstexperiment «11 Tage», mit dem es der 45-Jährige wieder geschafft hat, in der Öffentlichkeit für Furore zu sorgen.

Ratte gerettet

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Ursprünglich sollte das Experiment «11 Tage» auf der Website von Florian Mehnert bis zum 24. März dauern. Mehnert verlegte kurzfristig das Ende auf den 17. März um 19 Uhr. Statt das Tier zum Abschuss freizugeben, hat er es jedoch aus der Schusslinie genommen. Das Tier sei nun an einem sicheren Ort, sagte das Landratsamt der Badischen Zeitung .

Per Webcam können Zuschauer das Leben einer Ratte verfolgen. Und dann, am Ende des Countdowns, das Labortier erschiessen – per Mausklick. Denn an der Kamera ist eine Waffe angeschlossen, der Lauf ist im Livestream deutlich erkennbar. Am Ende des Countdowns wird diese Waffe, die mit der Maus zu bedienen ist, scharf gestellt.

«Einfach nur krank»

Mit diesem Experiment will der Florian Mehnert auf die Gefahr ferngesteuerter Drohnen aufmerksam machen. Und über mangelnde Aufmerksamkeit kann er sich nicht beklagen, im Gegenteil.

Nach der BBC und der Times aus London, sind es Reporter vom französischen Fernsehen, die über Mehnert und sein Projekt berichten. Florian Mehnert würde gerne mit ihnen über die Gefahr der Überwachung sprechen, über die Drohnen im Speziellen. Aber am Ende dreht sich dann doch alles nur um das eine: um die empörten Reaktionen, die sein Ratten-Experiment auslösen. Reaktionen wie: «Einfach nur krank», «Tierquäler» oder «Setz dich selber in den Kasten und gucke, ob dich jemand abknallt».

Noch lebt die Ratte, in ihrem Käfig in einer Atelierhalle irgendwo im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Munter, putzig und vor allem kerngesund rennt sie in ihrem länglichen Kasten herum. Aber womöglich nicht mehr lange: Heute Dienstag um 19 Uhr läuft der Countdown ab.

Hass und Morddrohungen

Ein weisser Kasten, an dem links eine Pistole montiert ist.
Legende: Rattenkäfig mit Webcam und montierter Pistole. Florian Mehnert

Das Projekt «11 Tage» läuft bereits seit dem vergangenen Wochenende. Der Server ist mehrmals unter dem Ansturm der Besucher zusammengebrochen, und Florian Mehnert erhält Morddrohungen. Der Künstler ist sichtlich gestresst: «Natürlich wollte ich Empörung. Ich hab wirklich nicht mit dieser starken Aggressivität gerechnet, die auf mich einbricht. Es ist richtig abgrundtiefer Hass. Das erschüttert mich.»

Seit Jahren thematisiert Florian Mehnert in seinen Kunstwerken das Verhältnis des Menschen zur Technik. Er will aufrütteln: Ihn ärgert die Passivität und Gleichgültigkeit, die trotz der Snowden-Enthüllungen immer noch herrscht, diese «Ich habe eh nichts zu verbergen»-Mentalität.

Jeder kann abdrücken, muss aber nicht

Mit dem neuesten Projekt will der Künstler auf die Gefahr ferngesteuerter Drohnen hinweisen. Denn Droheneinsätze seien nicht möglich, ohne vorher im Netz Informationen zu sammeln, erklärt Mehnert. «So wie wir jetzt diese Ratte überwachen, wir Informationen über ihre Lebensgewohnheiten sammeln, genauso machen das Drohnenzentren. Die sammeln Informationen, bis sie ihr Ziel lokalisiert haben und exekutieren können. Wir haben also hier als Ziel die Ratte, die für den Menschen steht – und wir können das tun, was die Drohnenpiloten auch tun: abdrücken.»

Nur: Keiner muss abdrücken. Wenn alle Websiten-Besucher auf den Klick verzichten, bleibt die Ratte am Leben, betont Mehnert: «Es ist nicht erwünscht, abzudrücken, nur weil die Möglichkeit besteht.»

Die Empörung geht dem Künstler nah

So provokativ und damit auch für viele abstossend Florian Mehnerts Experiment auch ist, er hat es geschafft, mit seiner Aktion auf die Gefahr der hemmungslosen Anonymität und der Verantwortungslosigkeit in der digitalen Welt hinzuweisen.

Für die empörten Tierschützer gilt das nicht als Argument. Die ausgelöste Welle der Empörung geht Florian Mehnert nah. Die Ratte hat er zur virtuellen Zielscheibe gemacht, nun erlebt er in der Realität, wie es ist, selber eine zu sein.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 17.3.2015, 16:50 Uhr.

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