SRF: Warum gibt dieses Werk so viel zu reden, es ist ja nicht das erste Mal in der Kunstgeschichte, dass jemand Kunst aus Fäkalien macht?
Ellinor Landmann: Das ist es tatsächlich nicht, Fäkalien haben Künstlerinnen und Künstler ab den 1960er-Jahren zu vielfältigen Werken inspiriert: Die Wiener Aktionisten hielten 1968 ihre berühmte Performance «Kunst und Revolution» in der Wiener Uni ab. Da wurde nackt masturbiert, einander ausgepeitscht und eben auch öffentlich die Notdurft verrichtet – und das alles unter Absingen der Nationalhymne.
Bildende Künstler wie der US-Amerikaner Paul McCarthy machten zum Beispiel aus Hundehaufen Skulpturen: «Complicated Pile» ist eine riesengrosse, kackebraune, aufblasbare Skulptur und war 2009 im Zentrum Paul Klee zu sehen. Der Belgier Wim Delvoye baute im Jahr 2000 für das Migros Museum in Zürich eine künstliche Verdauungsmaschine namens «Cloaca», die gefüttert wurde und auch tatsächliche stinkende Exkremente ausschied.
Urahn all dieser Fäkalienkunst ist, glaube ich, Piero Manzoni, der italienische Künstler füllte 1961 seine eigene Notdurft in Konservendosen ab. 90 Stück durchnummeriert. Er verkaufte dieses Werk mit dem Titel «Merda d’artista» – also zu Deutsch: «Künstlerscheisse» – zum damaligen Goldpreis. Alle diese Arbeiten – und das ist nur eine kleine Auswahl – sorgten für Ärger, Aufsehen und Skandale
Und warum sorgen solche Werke immer für Irritation – hat das mit dem Ekel-Faktor zu tun?
Klar, Künstlerinnen und Künstler wären ja blöd, wenn sie nicht auf dieses hochtabuisierte Material zurückgreifen würden. Kaum ein anderes Material ist dermassen mit Werturteilen, gesellschaftlichen Konventionen und Übereinkünften besetzt. Kunst aus Scheisse bricht mit diesen Werten, zeigt, was wir nicht gerne sehen und provoziert natürlich immer auch die Frage: Was ist Kunst? Können Fäkalien Kunst sein – allein dadurch, dass ein Künstler sie zum Beispiel in Dosen füllt? Und sind sie dann soviel Wert wie Gold, weil Künstler Alchimisten sind?
Ist in diesen Dosen überhaupt das drin, was draufsteht? Und: Macht, wer die Dose öffnet, das Kunstwerk kaputt? Alle diese Fragen lassen sich in unterschiedlichen Variationen an alle diese Werke anschliessen. Kunstwerke aus Fäkalien sind wunderbare Aufmerksamkeitsmaschinen. Denn ein kleiner Kunstskandal macht den Künstlernamen bekannt.
Welche Wirkung hatte denn das Werk von Mike Bouchet bei der Manifesta in Zürich auf Sie?
Eine intensive. Das Ding riecht unglaublich stark, aber eben nicht nach Fäkalien, sondern nach Chemie. Irgendwie sehr giftig. Die Presseverantwortliche der Manifesta versicherte mir aber: Das sei nichts im Vergleich zum Gestank in der Kläranalage. Und dort arbeiten ja auch Menschen – die sich dem Gestank für Lohn aussetzen. Bin ich also mehr «wert» und muss mich dem nicht aussetzen? Diese Fragen gingen mir durch den Kopf – und haben auch mit dem diesjährigen Motto der Manifesta («What people do for money») zu tun.
Mike Bouchets breites, langes Feld aus Fäkalien weckt zum Beispiel auch Assoziationen an ganz saubere Kunst wie Landart. Das sieht ja ein bisschen aus wie ein sehr deutlich strukturierter Acker. Man kann auch an die Arbeit denken, die aufgewendet wurde, um diese Fäkalien in Blöcke zu verwandeln um ihren Geruch zu verändern. Da wurde viel Liebesmühe für einen Stoff aufgewendet, den wir uns sonst mit einem entschlossenen Drücken der Spülung vom Leib halten.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 10.6.2016, 17:02 Uhr.