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Kunst Fast wie «Tatort»: Auf Streifzug mit einem Urban Explorer

Überall auf der Welt gibt es Leute, die in leerstehende Gebäude eindringen, um sie zu fotografieren. Sie betreiben so genannte Urban Exploration – wie der Fotograf Stefan Flükiger. Für die Nachwelt hält er Dinge fest, bevor sie verschwinden. Dabei trifft er schon mal auf Blutlachen.

«Ab hier muss man aufpassen, die Böden und Decken sind morbid, also nicht einfach rumlaufen», warnt mich der Urban Explorer Stefan Flükiger. Der Einstieg in die seit 30 Jahren leerstehende Asphaltfabrik erfolgt durch ein ein Quadratmeter grosses Fenster, das einzige, das nicht mit Holz zugenagelt ist. Diese Art von Abenteuer ist halb-legal – nimmt man es genau, ist es Hausfriedensbruch.

«Zuerst ist es das Adrenalin, das ich verspüre und dann beginne ich es zu geniessen und sauge die Atmosphäre auf», sagt Stefan Flükiger. Der 37-Jährige steht in der grossen Fabrikhalle und schaut hoch zu den verrosteten Eisengerüsten, die das Gebäude zusammenhalten. In der Mitte steht eine Turbine, mittlerweile ist sie versprayt wie die meisten Wände hier.

Der Idealfall: Das gesamte Mobiliar ist noch da

Dann geht das Erkunden los: Kein Raum soll unentdeckt bleiben. Mit dem an den Rucksack angehängten Stativ streift der Abenteurer durch die Halle. «In diesen Öfen wurde vermutlich der Asphalt hergestellt», sagt Flückiger. Eingetrocknete schwarze Flüssigkeit klebt an den Öfen, als wären diese gestern noch eingeheizt worden.

Plötzlich verschwindet Flükiger in einen dunklen Raum, dahinter folgt ein Zimmer mit einem verstaubten und zerfetzten Sofa. Da bleibt nur das Spekulieren was hier einmal war: «Muss wohl ein Pausenraum gewesen sein», sagt Flükiger. Am Boden liegt ein kaputter Fernseher, der Röhrenbildschirm ist aus dem Gehäuse gefallen.

Gefundenes Fressen für den Entdecker. «Der Idealfall wäre, wenn ich in das Gebäude komme und alles noch da ist: das gesamte Mobiliar, die Geräte, dann könnte ich alles genau so abbilden wie es einmal war.» Er packt seine Kamera aus, stellt das Stativ auf und lässt die Belichtungszeit wirken: «Ich fotografiere ohne Licht – das wäre zu auffällig.»

Selten alleine unterwegs

Ein Loch in einer Holzwand bleibt Stefan Flükiger nicht verborgen. Hinter dem Loch wieder pure Dunkelheit. Er zückt die Taschenlampe und leuchtet den Gang entlang. Automatisch lässt man der Fantasie freien Lauf: Könnte in dem schwarzen Blachen am Boden eine Leiche liegen?

Weit entfernt von der Realität wäre diese Vorstellung nicht. In einer alten Schuhfabrik stiess Flükiger auf ein Bild, das ihm bis heute ein Rätsel bleibt: «Ich sah eine riesige Blutlache. Eine Blutspur führte von davon weg.» Dieser sei er gefolgt, um herauszufinden, ob sich ein Verletzter im Gebäude befinde. «Glücklicherweise war da niemand.»

Normalerweise geht der Abenteurer nicht alleine in ein verlassenes Gebäude. «Ich bin auch schon alleine gegangen. Dann sag ich jemandem, wo ich bin. Wenn derjenige nach zwei Stunden nichts von mir hört, muss er handeln.»

Oft sind die Gebäude, die Flükiger aufsucht, kurz vor dem Zerfall Sie warten darauf, abgerissen zu werden. Ihnen will Flükiger ein kleines Denkmal setzen mit seinen Nacht- und Nebelaktionen. «Für mich ist das der Reiz: Für die Nachwelt ein Objekt festzuhalten, bevor es verschwindet.»

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