Thomas Schütte studierte in den 70er Jahren in Düsseldorf, dort wo die zeitgenössische Kunstszene damals brummte, u.a. bei Gerhard Richter. Und trotzdem wirken Schüttes Arbeiten in gewisser Weise traditionell. Denn Schütte stellt als Plastiker die menschliche Figur ins Zentrum.
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Die Überblicksausstellung in der Fondation Beyeler heisst denn auch «Figur». Sie zeigt rund 50 Plastiken und viele Zeichnungen. Und bei Schütte gehören die beiden unterschiedlichen Medien häufig zusammen, zum Beispiel bei der Arbeit «Fratelli» aus dem Jahr 2012.
Zu sehen sind vier grosse Männerköpfe aus Bronze. Riesenhafte, geradezu grotesk vergrösserte Gesichter blicken hoheitsvoll auf die Betrachter hinab. Deutlich ist sichtbar, wie der Ausdruck hergestellt wird, wie Schütte die den Bronzen zugrundeliegenden Modelle bearbeitet hat: Die Augen sind Löcher mit dem Finger gebohrt. Und vis-à-vis hängen drei Tuschezeichnungen an der Wand, ebenfalls Männerköpfe mit dem Titel «Fratelli».
Im Fokus: Grössenverhältnisse
Die Spannung zwischen klein und gross interessiert Thomas Schütte. Er ist den zahlreichen Veränderungen auf der Spur, die geschehen, wenn der Massstab verändert wird. Damit bezieht er auch die Betrachter in seine Überlegungen mit ein, schliesslich steht jedes Kunstwerk in einem Verhältnis zum Ausstellungsraum und zum Betrachter in diesem Ausstellungsraum.
Es ist das Grundvokabular der Skulptur und nicht zuletzt ist auch sichtbar, dass Material, Handwerk, Herstellungsprozesse Thomas Schütte ebenso wichtig sind wie Massstäbe.
Aber Schüttes Werk lässt sich nicht beschränken auf künstlerische Grundlagenforschung. Er tänzelt nicht beständig selbstreferentiell um die Bedingungen von Kunst herum. Schütte hat ein Talent fürs Narrativ, und die von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung in Fondation Beyeler betont dieses Talent zusätzlich.
Skulpturale Stories
Manche Räume erzählen Geschichten: In einem stehen sich zum Beispiel die beiden riesigen Holzskulpturen der «Krieger» (2012) gegenüber. Und von oben blicken die Köpfe der Skulpturenserie «Innocenti» von Fotografien auf die beiden Krieger herab, dutzende Zuschauer also haben sich in diesem Ausstellungsraum bereits versammelt, so als stünde der Beginn des Boxkampfs unmittelbar bevor. Die Ausstellungsbesucher können nicht anders: Sie betreten den Ausstellungsraum zur Unzeit und wuseln den Kämpfern zwischen den Beinen herum.
Viel gibt es zu entdecken in der Ausstellung: den Zeichner Thomas Schütte, den Bildhauer, den Karikaturisten, den Portraitisten. Und so bietet diese Ausstellung «Figur» in der Fondation Beyeler einen guten Überblick über den einen Teil des Werks von Thomas Schütte.
Der andere Teil ist Ende Oktober im Kunstmuseum Luzern mit «Houses» zu entdecken, in einer Ausstellung über Schüttes Architektur-Modelle (ab 26. Oktober). Figur und Raum – Thomas Schütte scheint davon nicht loszukommen.