Wer direkt am Canale Grande in Venedig einen repräsentativen Palazzo besitzt, ist mächtig in Italien und hat Geld. «Ca' Corner de la Regina» heisst der Palazzo aus dem 18. Jahrhundert, im Besitz der Fondazione Prada, der Kulturstiftung des gleichnamigen Modehauses. Die Patronin Miuccia Prada gilt nicht nur als Herrscherin über ein Modeimperium, sondern auch als Kennerin der Gegenwartskunst. So hat sie dieses Jahr während der Biennale in Venedig einen Coup gelandet, um den sie jedes Museum beneidet.
Szeemann zeigte Kunst als Idee und Konzept
Die Idee ist so naheliegend wie provokativ: Miuccia Prada und ihr Kurator Germano Celant stellten sich nämlich die Frage, welche Ausstellung aus dem letzten Jahrhundert so wichtig und so legendär wäre, dass man sie heute nochmals aufführen sollte. Nachdem man einige Ideen – wie die berühmte Malewitsch Ausstellung «0.10» aus dem Jahr 1915 – verwarf, kam man schnell auf «When Attitudes Become Form», eine Ausstellung der Kunsthalle Bern aus dem Jahr 1969.
Der legendäre Ausstellungsmacher Harald Szeemann brachte damals zum ersten Mal eine Generation von Künstlern zusammen, die ein völlig neues Kunstverständnis hatten. Kunst bildete nicht mehr nur ab, sondern war eine Idee, ein Konzept, ein Prozess.
Was damals in seinen Anfängen steckte, bestimmte den Rest des 20. Jahrhunderts. Die Nobodies von damals wurden zu den Schwergewichten der folgenden Jahrzehnte: Richard Serra, Mario Merz, Joseph Beuys. Diese Ausstellung ist ein Mythos, auch deshalb weil man sie heute vor allem von Fotos kennt.
Die totale Rekonstruktion
Zusammen mit dem Künstler Thomas Demand und dem Architekten Rem Koolhaas überlegte Kurator Germano Celant, wie man eine solche Ausstellung in die Jetztzeit übertragen könnte. Sollten es Fragmente sein, eine Neuinterpretation oder eine Wiederaufführung? Für den Künstler Thomas Demand, der bekannt ist für seine fotografischen Nach-Inszenierungen historischer Ereignisse, war die Antwort klar: Es müsste eine totale Rekonstruktion sein, mit dem ganzen Irrsinn der damit einhergeht.
Wie bringt man eine Berner Ausstellung aus dem Jahr 1969 in einen venezianischen Palazzo des 18. Jahrhunderts? Zuerst einmal braucht es viel Geld, und das war mit Prada gegeben. Dann brauchte es eine akribische Recherche darüber, wie diese Ausstellung damals aussah. Einer der Gründe, diese Ausstellung zu wählen, war es, dass kaum eine historische Ausstellung so gut dokumentiert ist wie diese. An die 1000 Bilder fand das Ausstellungsteam, um die originale Ausstellung nachzuzeichnen. Am ergiebigsten war das Szeemann-Archiv, das heute im Getty Center in Los Angeles beheimatet ist.
Authentische Imitation
Demand, Koolhaas und Celant drehten den Berner Grundriss von 1969 solange, bis er in den barocken Palazzo passte. Sie bauten weisse Wände rein, organisierten die damalige Beleuchtung, setzen Türen mit dem originalen Türknauf ein und imitierten sogar den alten Parkettboden. Die räumlichen Verhältnisse nachzubauen, hiess die Kunstwerke in Bezug zu ihrem Umfeld zu verstehen und die Ausstellung als Ganzes begreifen zu können.
Eine Stahlskulptur von Richard Serra stand 1969 auf einem schwarzweissen Klinker-Boden. Für die aktuelle Ausstellung legte man den Boden mit dem gleichen Muster aus. In einem Raum baute man identische Boden- und Eckleisten ein, damit die «Fettecke» von Joseph Beyus seinen richtigen Platz findet, als ob das Kunstwerk den originalen Hintergrund braucht, um authentisch wirken zu können.
Man könnte die räumliche Nach-Inszenierung als Gag empfinden, als eine Art Themenpark für kunsthistorische Schlaglichter. Doch erwischt man sicher immer wieder dabei, vor der Aura dieser Kunstwerke zu erstarren.
Kleines Wunder
Es grenzt an ein Wunder, dass Celant und seine Leute es wirklich geschafft haben, diese Kunstwerke wieder in einer Ausstellung zu vereinen. Zum einen, weil die Hälfte davon Meilensteine der Kunstgeschichte sind und es in Zeiten von übervorsichtigen Konservatoren und millionenschweren Versicherungsprämien fast unmöglich geworden ist, diese Objekte auszuleihen.
Zum anderen, weil die Hälfte der Künstler vergessen und ihre Kunstwerke verloren gingen und man in mühsamer Recherchearbeit die Personen und ihre Kunstwerke wiederfinden musste. Ein Puzzle, das vor allem deswegen zu einem Gesamtbild wurde, weil Germano Celant 1969 dabei war und alle Beteiligten kannte. Er verhandelte mit den Museen, fand die vergessenen Künstler und überzeugte die Erben von Nachlässen verstorbener Kunstheroen, sich an diesem verrückten Projekt zu beteiligen.
Nur Originale oder auch Rekonstruktionen?
Die Ausstellung lebt von ihrer Dichte, vom Verhältnis der Kunstwerke untereinander und natürlich von der Aura des Authentischen, auch im nachgeahmten Setting. Doch was tun, wenn Werke fehlten, wenn sich auf einmal mitten in der Ausstellung eine Lücke auftat? Für Kurator Celant und seine Mitstreiter führten die Lücken zum grössten Dilemma des ganzen Unterfangens. Wie sollte man fehlende Objekte darstellen? Sollte man sie durch Rekonstruktionen ersetzen?
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Eine heftige Debatte zwischen den Beteiligten entbrannte. Sollte man ein fehlendes Original durch eine «Fälschung» ersetzen? «Rem Koolhaas und Miuccia Prada waren dafür, sie wollten mit einer radikalen Geste den Wert der Kunst unterwandern», sagt Kurator Germano Celant. «Für mich und Thomas Demand kam es überhaupt nicht in Frage, in dieser legendären Ausstellung gefälschte Kunstwerke zu zeigen. Und es war Thomas Demand, der die Diskussion mit einem genialen Spruch beendete. Er sagte: Wenn ihr die Kunstwerke imitieren wollt, dann müsst ihr den Titel der Ausstellung ändern und zwar in ‹When Attitudes Become Fakes›. Das war das Ende der Diskussion.»
Und so hat die Ausstellung also auch ihre Lücken, die nur mit Fotos gekennzeichnet sind. Doch es sind genau diese Fragen wie wir mit dem Original, der Kopie und der Nachahmung umgehen, die diese Ausstellung so einmalig machen.