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Kunst Fotografen zeigen Paradiese der Unmoral

Sie bieten Traumkulissen – trotzdem ziehen die Kaimaninseln und ihre Artverwandten nicht in erster Linie Touristen an. Die Paradiese machen mit Steuerflucht für Firmenkonstrukte von sich reden, und das ganz legal. Eine Fotoausstellung in Arles gibt den rätselhaften Steueroasen ein Gesicht.

Da sind sie: Auf einem Foto sind fast endlose Reihen von Postfächern zu sehen. Oft das einzige Indiz für die knapp 100'000 Firmen, die auf den Kaimaninseln bestehen. Büroräume sucht man vergeblich.

Und da stehen die zwei Männer im Zollfreilager in Singapur, verantwortlich für den Transport und die Lagerung von Kunst, Edelmetallen und anderen materiellen Wertanlagen. Beide Schweizer.

Nackte Frau von hinten in einem Zimmer.
Legende: Kindermädchen und Prostituierte: Die 34-jährige Philippinin Nicole in Singapur. SRF

Ebenfalls in Singapur aufgenommen: die philippinische Hausangestellte, die sich prostituiert, um ihren geringen Verdienst aufzubessern. Nackt, von hinten aufgenommen.

Auf diesen Fotos treten sie zutage: die Gesichter jener Orte, an denen meist alles im Dunkeln bleibt. Die beiden Fotografen Paolo Woods und Gabriele Galimberti haben sich mit den Steueroasen dieser Welt an ein wenig dankbares Fotosujet gewagt. «Eigentlich ist es unmöglich, dieses Thema fotografisch abzubilden», sagt Paolo Woods. Aber: «Wir sind alle involviert, und wir sind alle davon betroffen.»

Die Fotografen

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Der investigative Fotojournalist Paolo Woods, 45, mit kanadisch-niederländischen Wurzeln, ist in Italien aufgewachsen und lebt heute auf Haiti. Die Arbeiten des Italieners Gabriele Galimberti, 38, sind in zahlreichen Publikationen erschienen.

«Es ist unmoralisch, aber legal»

Weltweit nutzten 340 multinationale Unternehmen Steueroasen, heisst es. Durch Finanzkonstrukte, die sie auf mehrere Länder verteilen, «optimieren» sie – oder umgehen sie – Steuerabgaben. Und das ohne Konsequenzen. «Fast alles, das in Steueroasen geschieht, ist legal», sagt Paolo Woods. «Es ist unmoralisch, aber legal.»

Ihre Premiere feiert die Ausstellung «Les paradis. Rapport annuel» seit diesem Monat im südfranzösischen Arles. Seltsam leblos wirken die 33 Bilder des Fotografenduos, die an der zentralen Place de la République zu sehen sind.

Statisch und arrangiert, erwachen sie erst durch die Texte zum Leben, die ihnen beigefügt sind. Wir erfahren, dass auf den Britischen Jungferninseln eine Million Unternehmen auf 28'000 Einwohner kommen sollen. Wir lernen, dass man im US-Staat Delaware jeweils bis Mitternacht Firmen eröffnen könne und keine einzige Frage zu beantworten brauche.

«In dieser Ausstellung können wir nur die Spitze des Eisbergs zeigen», sagt Paolo Woods. Er und Gabriele Galimberti haben zwei Jahre lang auf den Kaimaninseln, Jersey, Singapur und in zahlreichen weiteren Ländern recherchiert und fotografiert. Zugang zu erhalten sei höchst kompliziert gewesen. «Niemand möchte das Label ‹Steueroase› haben. Und die Menschen dort haben extrem mächtige Anwälte», sagt er.

Rencontres d'Arles

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Die «Rencontres d'Arles» ziehen jährlich bis zu 100'000 Besucher in die Provence. Das Foto-Festival ist eine Standortbestimmung der zeitgenössischen Fotografie. Die Ausstellung «Les paradis. Rapport annuel» (englisch: «The Heavens, Annual Report») ist als eine von 35 Fotoausstellungen bis 20. September zu sehen.

Und doch ist es ihnen gelungen, die Horte der Finanzmacht in ihrer Ambivalenz zu zeigen. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit bis zu 32 Billionen US-Dollar in Steueroasen versteckt sind. Als Zahl: 32'000'000'000'000.

Schweiz: «Urgrossmutter der Steuerparadiese»

Und die Schweiz – gestrichen von der schwarzen Liste der OECD. Dank verschärftem Geldwäschereigesetz, blockierten Potentaten-Geldern, automatischem Informationsaustausch. Nicht in dieser Ausstellung. Hier steht sie wieder in einer Reihe mit Panama und den Britischen Jungferninseln. Im Begleitbuch zur Ausstellung wird sie «die Urgrossmutter der weltweiten Steuerparadiese» genannt.

Es sei noch viel von der Steueroase Schweiz übrig, lautet die dezidierte Antwort von Paolo Woods. Vor allem bezüglich Geldern aus Entwicklungsländern und Aktivitäten ausländischer Banken läge noch vieles im Argen.

Der zweifach mit dem World Press Award ausgezeichnete Fotograf erkennt zwar an, dass Schritte unternommen wurden. «Aber das geschah nicht auf Schweizer Initiative, sondern auf Druck von anderen Ländern.»

Schweizer Recherche in der Schublade

Auf den Bildern ist die Schweiz – bis auf die beiden Herren in Singapur – nicht zu sehen. Er habe aber eine fertige Geschichte in der Schublade, sagt Paolo Woods. Auf Bitten des Dargestellten ist diese noch unter Verschluss.

Es sei ein Angestellter einer Schweizer Bank, gegen den ein Prozess geführt wird. Um wen es gehe? Das könne er nicht sagen. Welche Bank betroffen sei? Auch das nicht. «Aber eine der grossen. Und davon gibt es ja nicht so viele in der Schweiz.»

Vielleicht findet das Bild in die Ausstellung, falls sie hierzulande zu sehen sein wird. Denn nach Italien und Deutschland ist die Schweiz das nächste Wunschziel der beiden Fotografen.

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