Ricco Wassmer (1915 – 1972) strebte einem Ideal nach, das nicht ganz von dieser Welt war. Das zeigen bereits die Schmetterlingskästen, die er als junger Mann anlegte. Wassmer sortierte die Falter nicht nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern nach ästhetischen Vorstellungen: In der Mitte jedes Kastens thront ein Pfauenauge, umgeben von symmetrisch geordneten, kleineren Schmetterlingen.
Mit der gleichen Sorgfalt, mit der er seine Schmetterlinge ordnete, arrangierte Wassmer später seine Gemälde. Segelboote und Karussellpferde, Porträts von Dichtern wie Novalis oder Jean Cocteau und junge Männer in knappen Shorts und Matrosenkostümen treffen in dekorativ-rätselhaften Bildlandschaften aufeinander. Die homoerotische Note seiner Bilder sorgt dafür, dass Wassmers Malerei heute auf zahlreichen Websites der Gay-Communitiy zu sehen ist. In der Kunstwelt hingegen sieht man sie selten.
Das Kunstmuseum Bern widmet dem Aussenseiter Ricco Wassmer nun eine breit angelegte Retrospektive, die von einem umfassenden Werkkatalog ergänzt wird. Die Ausstellung vereint zahlreiche Gemälde aber auch Zeichnungen, Fotos und einige jener Objekte, die Wassmer gesammelt hat und gibt Einblick in Leben und Werk eines Unzeitgemässen.
Kindheit im Schloss
Ricco Wassmer, eigentlich Erich Hans Wassmer, war der Sohn einer vermögenden Industriellenfamilie. Kindheit und Jugend verbrachte er im Schloss Bremgarten bei Bern. Einzelne Elemente des Schlosses tauchen auch in späteren Jahren immer wieder in Wassmers Werken auf. Zu seiner Jugend gehören Kulturschaffende wie der Autor Hermann Hesse oder der Fotograf Gotthard Schuh, die zum Freundeskreis der Eltern zählten und den jungen Wassmer beeinflusst haben.
Eines der frühen Bilder Wassmers, das einen Spielzeugmarkt zeigt, entstand nach einem Foto von Gotthard Schuh. Zeitlebens hat Wassmer viel nach Fotografien gearbeitet. Das Zeichnen nach einem dreidimensionalen Modell lag ihm nicht besonders. Vermutlich hing dies mit seiner starken Kurzsichtigkeit zusammen – und mit seiner Eitelkeit, die ihn daran hinderte, eine Brille zu tragen.
Ästhet und Nostalgiker
Ricco Wassmer war ein Ästhet, ein Verfeinerter, wie man das im 19. Jahrhundert genannt hätte. In seinen frühen, technisch sehr ungelenken Bildern zeigt er sich als sehnsuchtsvoller Melancholiker, der sich mal im Kreis wärmender Tischgesellschaften, mal in klösterlicher Weltabgewandtheit imaginiert, nicht ohne seinem Selbstbildnis in Mönchskutte einen hübschen Ministranten zur Seite zu stellen. In seinen späteren Werken komponiert er aus Schmetterlingen, Porzellanhunden und jungen Männern Allegorien auf die Vergänglichkeit des Schönen.
Verkaufen musste er seine Bilder nicht. Er lebte von seinem Erbe, und dies auf grossem Fuss. 1950 mietete er sich ein Schloss in der Nähe von Vichy. Zehn Jahre später kaufte er ein herrschaftliches Anwesen im waadtländischen Ropraz.
Er dekorierte seine Schlösser mit skurrilen und nostalgischen Objekten, die er in Antiquitätenläden und Trödelgeschäften entdeckte und die auch in seinen Bildern immer wieder auftauchen.
Wassmer pflegte, während um ihn herum alle immer moderner und abstrakter wurden, einen realistischen Stil, der von Neuer Sachlichkeit und Surrealismus geprägt war. Ein brillanter Maler war er nicht, oft haderte er mit Perspektiven und Proportionen. Sein Werk lebt vor allem vom inneren Drang zur Selbsterforschung. Malen war für Wassmer eine Art Selbstgespräch über das eigene Anders-Sein.