Mitten in der Altstadt Luzerns gibt es momentan einen finnischen Treffpunkt, wo Exponenten der Comicszene Helsinkis ein und aus gehen. Ein eigenes Zentrum am Comixfestival Fumetto für ein Land, das uns geographisch wie sprachlich so fern scheint, mag überraschen. Denn wer kennt schon einen finnischen Comic?
Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Das beweist der brandneue «Comic Atlas Finnland», der uns die Fülle des aktuellen finnischen Comicschaffens schmackhaft macht. Die Vielfalt zeigt sich auch, wenn man das «Comic-Pop-Up-Center» betritt, wie der finnische Auftritt am Fumetto heisst. In einem kleinen Raum sind die Werke von vier zeitgenössischen finnischen Künstlern zu sehen, die verschiedener kaum sein könnten. Ville Ranta, Hanneriina Moissenen, Kaisa Leka und Mari Ahokoivus zeigen, was Comickunst jenseits von Konventionen heute sein kann und wie finnische Traditionen und Mythologien künstlerisch umgesetzt werden.
Festival als Extremsport
Daneben kann man im Pop-Up-Center in finnischen Comics blättern, es gibt Workshops für angehende Comicschaffende und Vorträge. Zudem zeigt die Gruppenausstellung «Headrest» das Resultat aus einem Förderprogramm mit sieben finnischen Newcomern.
Eine der finnischen Hauptkünstlerinnen am Fumetto ist die 30-jährige Mari Ahokoivu, die neben Stargast Gabriella Giandelli einen Workshop leitet. Kaum in Luzern angekommen, twitterte sie: «Fumetto is like the extreme sport of festivals.» Eine solche Dichte an Ausstellungen und Veranstaltungen habe sie noch an keinem Festival erlebt, sagt sie lachend.
Mari Ahokoivu ist viel herumgekommen und studierte in Angoulême und Malmö. Wenn man ihre Blogposts anschaut, staunt man, wie spielerisch sie mit unterschiedlichsten Stilen und Themen umgeht. Da finden sich Kindercomics, Poetisches oder satirische Heldencomics. Kein Wunder gilt Ahokoivu als Pionierin der finnischen Comic-Blog-Szene – inzwischen gibt es eine rege Szene.
Kein typischer Stil
«Finnland muss sich mit nur gut fünf Millionen Einwohner aktiv im Ausland präsentieren, wenn es als lebendige Szene wahrgenommen werden will», erklärt Ahokoivu. Darum betreibt die finnische Comics-Society solche Pop-Up-Centers wie hier in Luzern – Miniaturausgaben des permanenten Comics-Center in Helsinki. «Wir wollen in anderen Ländern zeigen: Ja, wir haben gute Comics und wir haben eine grosse Vielfalt an Comics», so Ahokoivu. Das Charakteristische am finnischen Comic ist wohl gerade, dass es keinen typischen Stil gibt, keine «finnische Schule».
Das Comics-Center in Helsinki existiert erst seit 2008, ist aber bereits ein wichtiger Treffpunkt für Künstler, Herausgeber und Journalisten. Auf Rosen gebettet sind Comickünstler natürlich auch in Finnland nicht, aber der Staat unterstützt sie und finanziert Stipendien. «Du musst es wirklich wollen, wenn du Comics machst – dafür hast du die künstlerische Freiheit, das zu tun, was immer du willst», so Ahokoivu.
Starke weibliche Szene
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Am Podium mit Exponenten des skandinavischen Comics erfuhr man noch mehr über das nordische Comicwunder. Etwa, dass die finnische Szene nie in Konventionen gefangen war und sich eigenständig entwickelte, weil hier der Einfluss von kommerziellen Künstlern nicht so gross war wie anderswo.
Die finnische Comisszene sei bis in die 90er-Jahre männlich geprägt gewesen, so Comicjournalist Ville Hänninen. Jedoch sei die weibliche Szene früher als in anderen Ländern stark gewachsen – heute sind vier von fünf Comicblogs weiblich.
Eine Eigenheit ist auch die finnische Comics-Society, die seit 1971 für Comicschaffende lobbyiert und sie international vernetzt. Errungenschaften sind das erwähnte Comics-Center und die Tatsache, dass heute ein fixer Bestandteil des jährlichen Staatsbudgets für Comickunst reserviert ist.
Der absurde Humor
Doch was das Charakteristikum des finnischen Comics sei, darauf hatten auch die Gesprächsteilnehmer keine schlüssige Antwort. «Finnische Comics vereinen das Schöne mit dem Traurigen und Tragischen», so Ville Hänninen. Dieser schwarze, absurde Humor sei stets spürbar.
Und es gibt genügend verrückte Leute, wie jene, die seit vielen Jahren das alternative Comic-Magazin «Kuti» herausbringen. «Ein kleines Wunder», wie es Kalle Hakkola, Leiter der Comics-Society beschreibt. Inzwischen hat «Kuti» Abonnenten in der ganzen Welt. Die finnische Comicszene mag klein sein, seine Fans aber sind auf der ganzen Welt zu Hause. Und nun wohl auch in der Schweiz.