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Eine Frau von hinten, die vor einem Bild mit zahlreichen kleinen bunten Quadraten steht.
Legende: 4900 Farben (2007) des deutschen Malers Gerhard Richter in der Fondation Beyeler. Keystone

Kunst Hans-Ulrich Obrist: «Richter hat die Malerei stets neu erfunden»

In der Fondation Beyeler ist derzeit eine Retrospektive von Gerhard Richter zu sehen. Kuratiert hat sie Richters langjähriger Freund Hans-Ulrich Obrist. Dessen Faszination für Richters Werk hält seit langem an: «Richter ist auch mit 80 weiterhin ein junger Künstler», sagt Obrist im Gespräch.

SRF: Gerhard Richter hatte noch nie eine grössere Übersichtsschau in der Schweiz. Kürzlich gab es aber eine grosse Richter-Retrospektive in Paris, in London und Berlin. Was kann man nach so einer Retrospektive überhaupt für eine Grossausstellung machen?

Hans-Ulrich Obrist

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Legende: SRF

Der Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist ist ein Kenner von Richters Werk. Mit dem deutschen Künstler verbindet ihn eine langjährige Freundschaft. Er hat mit Richter bereits über 20 Projekte realisiert und mehrere Publikationen über ihn veröffentlicht.

Hans-Ulrich Obrist: Wir haben uns das lange überlegt. Bei der Eröffnung in der Tate in London stand ich neben einem Tizian-Bild von Richter – nur eines hing da in der Ausstellung. Ich dachte: Wie grossartige wäre es, wenn man den ganzen Zyklus in einem Raum versammelt hätte, wie in einer Kapelle. So entstand die Idee, seine verschiedenen Zyklen in verschiedenen Räumen zu zeigen – abstrakte Zyklen, Fotomalerei, neue Bilder, alte Bilder. Natürlich braucht es bei so viel logischem Aufbau auch eine Asymmetrie. Dann kam Gerhard Richter mit der wunderbaren Idee, in jedem Raum kontrapunktisch die Serie aufzubrechen. Darum hat man zum Beispiel im Raum mit den «4900 Farben» auch die «Lesende». Das wird hoffentlich für die Besucher eine faszinierende Erfahrung.

Das Grossartige ist, dass wir alle Leihgaben gekriegt haben, von allen grossen Museen in der Welt. Das ist nicht einfach und macht die Ausstellung in der Fondation Beyeler so speziell. Ausserdem sind die Räume wie geschaffen für das Werk von Gerhard Richter. Fast alle Bilder haben perfekt in die Räume gepasst. Wir haben fast keine architektonischen Interventionen gebraucht.

Richter vor einem seiner Bilder.
Legende: Gerhard Richter in der Fondation Beyeler. Keystone

Welche Rolle spielt es, dass Sie mit Richter befreundet sind?

Der Dialog mit dem Künstler ist immer sehr wichtig. Meine Ausstellungen entstehen immer in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler. Im Fall von Gerhard Richter ist eine besonders lange Zusammenarbeit – wir kennen uns seit 27 Jahren. 1992 habe ich die erste Ausstellung von ihm im Nietzsche-Haus in Sils Maria kuratiert. Dann haben wir zusammen mit Kaspar König an der Ausstellung «Der zerbrochene Spiegel» gearbeitet. Das war meine erste grössere Museumsausstellung. Und so sind über die Jahre immer wieder Projekte entstanden.

Welche Rolle spielt der Betrachter im Werk Richters?

Marcel Duchamp hat ja mal gesagt: «Der Betrachter macht die Hälfte der Arbeit.» Und das ist auf jeden Fall auch bei Gerhard Richter so. Und der Bezug zu den Räumen und zur Architektur ist ja auch Thema der Ausstellung. Richter hat immer auch Räume geschaffen für Bilder. Sehr früh haben eben auch Glas und Spiegel eine Rolle gespielt. Das hat sich in den letzten Jahren sehr verstärkt.

Die Ausstellung

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Die Ausstellung «Gerhard Richter» ist ab dem 18.5. bis zum 7.9. in der Fondation Beyeler zu sehen.

Und auch in dieser Ausstellung führt der letzte Raum zu seiner ganz neuen Arbeit mit den grauen Glasbildern. Die werden dort zum ersten Mal ausgestellt. Und im Zentrum des Raums ist eine neue Version von der Glasarchitektur, es ist fast wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich. Der Betrachter und der ganze Raum spiegeln sich. Überhaupt ist die partizipatorische Dimension sehr wichtig. Im Eingang zur Ausstellung wird auch ein Spiegel hängen.

Diese Ausstellung vereint verschiedene Zyklen, aber auch verschiedene Stile. Warum wechselt Richter seinen Stil so oft?

Es gibt ja in der Quantenphysik des 21. Jahrhunderts die Idee der parallelen Realitäten. Und die gibt es auch bei Richter. Er ist wie ein serieller Erfinder, der immer wieder neue Situationen erfindet. Dieser Prozess ist nie stehengeblieben. Deswegen ist Richter auch mit über 80 weiterhin ein junger Künstler, der neue Bildserien erfindet. Er hat ein Werk geschaffen, das unendlich breit ist. Es gibt abstrakte Malerei, es gibt Fotoarbeit, überarbeitete Malerei. Er hat immer wieder fotografische Reproduktionen seiner eigenen Werke hergestellt.

Das setzt sich fast ins Unendliche fort. Es gibt dutzende Bücher von ihm und verschiedene Porträts und Landschaften. Wie in der Super-String-Theorie gibt es die verschiedensten Dimensionen. Richter hat immer verschiedene Techniken gleichzeitig erforscht und angewendet. Er hat die Fotomalerei immer weiter gemacht. Auch die grauen Bilder hat er immer weiter gemalt und gleichzeitig auch viele andere Dinge gemacht. Darum sage ich auch: Das sind parallele Realitäten. Er arbeitet nicht an etwas und hört dann damit auf. Das geht bei ihm immer weiter.

Und so gibt es auch natürlich verschiedenste Möglichkeiten eine Gerhard Richter-Ausstellung zu machen. Wir haben uns dann mit ihm zusammen für diese neue, bisher noch nicht dagewesene Idee entschieden, die auch für den Betrachter interessant ist: Man sieht immer Repetition, aber auch Differenz. Zunächst denkt man, die Bilder sind alle gleich, steht man aber davor, erkennt man die Unterschiede. Man kann die Einzelbilder in einen Zusammenhang setzen.

Als die Fotographie erfunden wurde, hat sie die Malerei nicht abgeschafft, aber verändert. Wie verändert die digitale Bilderwelt die Malerei heute?

Man kann davon ausgehen, dass die alten Medien sich immer wieder neu erfinden. Man dachte, durch das Fernsehen würde sich das Radio auflösen. Aber im Gegenteil: Das Radio hat sich neu erfunden und ist relevanter denn je im Zeitalter vom Internet. Und genauso ist es mit der Malerei. Die Malerei ist im Zeitalter der Photographie völlig neu erfunden worden. Und Gerhard Richter, einer der grössten Künstler unserer Zeit, hat die Malerei immer wieder neu erfunden.

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler will klarmachen, wie er auch jetzt im digitalen Zeitalter die Malerei wieder neu erfindet. Richter selbst verglich die Malerei ja oft mit dem Boule-Spiel «Pétanque»: Man muss immer wieder neue, offene Situationen schaffen.

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