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Kunst Henry van de Velde, der arrogante Alleskönner des Jugendstils

Der Belgier Henry van de Velde war ein Tausendsassa: Ob als autodidaktischer Architekt, Designer oder auch als Pädagoge. Er hat mit seinen Ideen den Jugendstil massgeblich geprägt. Besonders wichtig waren seine Jahre in Weimar. Sie waren auch der Auslöser für seine zwei Aufenthalte in der Schweiz.

«Die Welt von der Hässlichkeit befreien». Das wollte der Belgier Henry van de Velde, geboren 1863 in Antwerpen. Ehrgeizig ist dieser Anspruch, und auch arrogant, genau wie der Mann dahinter. Henry van de Velde polarisierte Zeit zeitlebens mit seiner Kunst und seinen eigenwilligen Vorstellungen eines modernen Lebens. Aufhalten oder gar beirren liess er sich von Kritik jedoch nicht. Deswegen gilt er heute als wichtiger Impulsgeber für den Jugendstil und sogar als Vorreiter für die berühmte Kunstschule Bauhaus in Weimar, der Brutstätte der Klassischen Moderne.

Er propagierte die Kraft der Linie

Seine Jahre zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Weimar bezeichnete Henry van de Velde in seinen Memoiren als prägende Zeit für seine persönliche Entwicklung. Der französischsprechende Flame hat seine Karriere nach ersten Erfolgen in der Heimat bald einmal ausserhalb Belgiens vorangetrieben.

Erst versuchte er in Frankreich Fuss zu fassen. So durfte er 1895 in Paris die Galerie «L‘Art Nouveau» des Kunsthändlers Siegfried Bing ausstatten. Doch die französische Bevölkerung konnte mit den neuartigen Ideen van de Veldes nichts anfangen – zu sehr war ihr Geschmack noch dem Historismus mit seinen ausladend üppigen Formen verhaftet. Van de Velde hingegen propagierte die Kraft der Linie, die er den Wellenbewegungen des Meeres abgeschaut hatte: Design, das praktisch frei von Ornamenten war. Als er seine Entwürfe an einer Kunstausstellung in Dresden zeigen konnte, hatte er sein begeistertes Publikum gefunden.

Wiederbelebung der Keramikindustrie in Weimar

Grossherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar persönlich holte Henry van de Velde 1901 nach Weimar, um die Keramik-Industrie anzukurbeln – die vielen Werkstätten produzierten seit Jahrzehnten die gleichen Produkte ohne Verkaufserfolg. Henry van de Velde besuchte die Fabriken und stellte bald fest, dass er nebst neuen Entwürfen auch die handwerkliche Ausbildung verbessern wollte. Deswegen gründete er eine entsprechende Ausbildungsstätte: das kunstgewerbliche Seminar. Daraus ging mit dem Segen des Grossherzogs 1908 die Grossherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule Weimar hervor. Henry van de Velde gelang seine Aufgabe. Er belebte die Keramikindustrie des Grossherzogtums neu.

Zur Ausstellung

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Die Ausstellung «Henry van de Velde - Interieurs» im Museum Bellerive in Zürich ist bis zum 1. Juni 2014 zu sehen.

Obwohl die Weimarer Jahre für van de Velde prägend waren, hatte er jedoch als Flame in Deutschland einen schweren Stand. Noch während des Ersten Weltkrieges, 1915, wurde seine Kunstgewerbeschule geschlossen. Ihm wird jedoch zugeschrieben, dass er den Architekten Walter Gropius als seinen Nachfolger vorgeschlagen habe. Gropius hat dann 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar gegründet – als Zusammenschluss der von van de Velde gegründeten Kunstgewerbeschule und der dortigen Kunstschule.

Der «Alleskünstler» selber hatte in Weimar bereits 1914 gekündigt, da er als Ausländer zu Beginn des Ersten Weltkrieges angefeindet wurde. Jedoch wurde sein Pass eingezogen, so dass er nicht ausreisen konnte. Erst als Freunde sich für ihn stark machten, konnte er in die Schweiz reisen. Das war 1917. Seine Familie jedoch musste bleiben – ebenso wie sein Vermögen, das die Regierung beschlagnahmt hatte.

Van de Helde wollte in der Schweiz bleiben

In der Schweiz war van de Velde glücklich, hatte vor, ein Haus in Uttwil zu einer Künstlerkolonie umzufunktionieren – der Maler Ernst Ludwig Kirchner war mit an Bord. Doch auch in der Schweiz gab es für ihn kein Geld. So verliess er bereits 1919 wieder das Land, um in den Niederlanden und schliesslich wieder in Belgien seine Karriere erfolgreich fortzusetzen.

Noch einmal kehrte er 1947 in die Schweiz zurück. Zehn Jahre vor seinem Tod ging er nach Oberägeri im Kanton Zug, gemeinsam mit seiner Tochter. Wiederum war Politik schuld daran – er galt in Belgien als Nazi-Kollaborateur. Zwar wurde er später von diesem Vorwurf reingewaschen, doch er wollte in der neutralen Schweiz leben. Künstlerisch tätig war er dann nicht mehr: Er schrieb an seinen Memoiren. So sind die einzigen sichtbaren Spuren Henry van de Veldes in der Schweiz jene Objekte, die das Museum für Gestaltung Zürich gesammelt hat.

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