Schnittige Autos mit vielen Pferdestärken unter der Motorhaube, junge Damen mit knackigen Kurven. Manche Männer halten solche Accessoires für das beste Mittel, ihre Männlichkeit markant in Szene zu setzen. Immer noch. Es muss dabei nicht immer das eigene Luxus-Auto sein, mit dem Mann sich sehen lässt. Und auch die attraktive Frau an seiner Seite muss keineswegs zum näheren Umfeld des betreffenden Herrn gehören.
Mit Statussymbolen kann man sich auch mehr oder weniger geschickt maskieren. Der in Lausanne lebende Künstler Romain Mader hat es versucht. Beim Autosalon in Genf posiert er mit der Handykamera vor teuren Wagen und knapp bekleideten Hostessen.
Hybride Selbstinszenierungen
Maders Selfies fügen sich perfekt in das diesjährige Motto der Bieler Fototage: «Hybride». Durch ihre Entstehungsweise erzählen die Handy-Fotos auch von den enormen technischen Entwicklungen der Fotografie.
Was vor 20 Jahren noch nach Science Fiction klang, ist heute jedem Schulkind geläufig. Mit dem Smartphone fotografieren? Oder Filme drehen? Klar, selbstverständlich, was ist denn schon dabei? Das Fotografieren und Filmen, das Dokumentieren und Inszenieren mit allen möglichen kleinen Gerätchen, die man immer dabei hat, ist so selbstverständlich geworden wie das Atmen. Ich fotografiere, also bin ich.
Ölfelder und Büroblumen
Selfies und Handy-Videos sind nicht nur als technische Phänomene interessant. Sie zeugen auch von Änderungen in der Gesellschaft, der Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Hélène Joye-Cagnard, Direktorin der Bieler Fototage, sieht im Thema «Hybride» auch die vielfachen kulturellen Vermischungen und gesellschaftlichen Verschmelzungen, die sich in der globalisierten Welt ergeben.
Rund 20 Kunstschaffende erzählen vom harten Aufeinanderprallen oder weichen Verschmelzen unterschiedlicher Welten. Saskia Groneberg erzählt in Schwarz-Weiss-Fotos von Grünpflanzen, die sich in der kargen Welt von Büroräumen zu behaupten suchen. Carlos Spottorno hat Erdölfelder im Westen Chinas besucht, auf denen muslimische Gruppen, chinesische Minderheiten und wirtschaftliche Interessen einander gegenüberstehen.
Fusion von Realität und Fiktion
Ein wichtiges Subthema der Bieler Fototage ist die digitale Welt, deren Ausmass und Bedeutung in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. In diesem digitalen Kosmos sind viele neue, überraschende Fusionen von Realität und Fiktion möglich.
Swann Thommen nutzt für sein Video «34°8'8.59''N | 118°20'48.61''O» Aufnahmen von Google Earth und nimmt den Betrachter mit an einen realen Ort in den USA der zugleich ein fiktives Szenario bietet.
Die digitale Bildbearbeitung schafft neue Möglichkeiten, fiktive Elemente in Filme und Fotos zu integrieren. Was früher mit einem enormen Aufwand an Masken, Tricks und Technik gemeistert werden musste, ist heute mit wenigen Klicks machbar.
Fotos wie Kalauer
Die Bieler Fototage zeigen sowohl Arbeiten aus der digitalen Welt wie auch klassische Fotografien, die das Überblenden von Realitäts- und Fiktionsebenen thematisieren. Natan Dvirs Fotoserie «Coming Soon» zeigt vorderhand grossformatige Werbeplakate in New York City.
Die Plakate füllen den gesamten Bildraum. Es gibt keine Gebäude, es gibt keinen Himmel. Aber es gibt Menschen und Objekte, die vor dem Werbebild stehen und gehen und die halb mit dem Plakat verschmelzen, sich halb davon absetzen. Und wenn ein Strassenhändler ausgerechnet vor einer Werbung für Wochenendtrips an sonnige Strände Regenschirme anbietet, bekommt der Dialog von Werbephantasie und Strassenwirklichkeit kalauerhafte Züge.
Bei Romain Mader nimmt der Grenzgang zwischen Wirklichkeit und Wunschtraum groteske Züge an. Seine betont linkischen Selfies vom Autosalon Genf wirken wie Parodien auf die grassierende fotografische Selbstdarstellungswut.
Doch wer weiss, vielleicht interessiert dieser nette junge Mann im gelben Hemd sich ja wirklich brennend für schnelle Autos und schlanke Mädels.