Gleich hinter dem Eingang zur Halle 1 hat Dan Graham v-förmig Glaswände aufgestellt, die an Sicherheitsschleusen erinnern. Manche Besucher mögen das als Kommentar zu den Sicherheitsmassnahmen werten, mit denen die Art Basel in diesem Jahr ihre Gäste empfängt. An allen Eingängen werden Taschen durchleuchtet, wie am Flughafen.
Was in den Glaswänden des US-amerikanischen Künstlers Dan Graham nur verhalten anklingt, wird von einigen anderen Kunstschaffenden – die Kurator Gianni Jetzer zur Art Unlimited eingeladen hat – direkter thematisiert: zunehmende Überwachung im öffentlichen Raum, Kontrolle, Sicherheitsdenken.
Der aus Mexiko stammende Künstler Rafael Lozano-Hemmer und Krzysztof Wodiczko aus Polen haben in ihrer Koje einen Observationsraum eingerichtet, in dem Aufnahmen von zwölf Überwachungskameras über die Wände flimmern und eine äusserst unwohlige Stimmung verbreiten.
Zeitkritik mit Stil
Gesellschaftsbetrachtungen und Gegenwartskritik begegnet man aber durchaus bei der diesjährigen Art Unlimited. Dennoch wirkt die Ausstellung, die doch eigentlich Grenzen sprengen will, erstaunlich ruhig und gesetzt.
Wilde Assemblagen sucht man vergebens. Eines der auffälligsten Werke mit politisch deutbarem Hintergrund ist heuer das «White House» von Ai Weiwei. Die Installation besteht aus einem weiss gestrichenen chinesischen Tempel, dessen Pfosten auf Glaskugeln ruhen. Chinas populärster Regime-Kritiker zeigt so: Auch instabile Wetterlagen in der Politik lassen sich stilvoll darstellen.
Dokumentarisch hingegen ist der Ansatz des französischen Künstlers Kader Attia. Er hat französische, deutsche und US-amerikanische Zeitungsartikel zwischen 1900 und heute, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, gesammelt. In einer Raum-Collage zeigt er, dass die westliche Islamophobie keineswegs neu ist.
Auszeit von der Gegenwart
Kunstschaffende, aber auch Kunstfreunde, haben wieder ein wachsendes Interesse an politischen Fragen, ist von Kurator Gianni Jetzer zu hören. Mindestens ebenso gross scheint das Bedürfnis vieler Kunstweltbewohner, sich ins Private zurückzuziehen.
Das legen zumindest viele Arbeiten nahe, die den erholsamen, privaten Raum zum Thema machen. Einer der grössten Publikumsmagneten der Schau ist die Koje, die Hans Op de Beeck in den zeitlos schönen Salon eines Sammlers verwandelt hat, mit Bücherwänden ringsum, Kunstobjekten, Konzertflügel und Seerosenbecken – alles grau, wie von einer dicken Staubschicht umhüllt.
Eine Auszeit von der Gegenwart kann auch nehmen, wer mit dem Lift zu Samson Youngs Koje fährt. Der aus Hongkong stammende Künstler hat im Zwischengeschoss eine Art Wellness-Tempel eingerichtet. Nicht spektakulär, aber passend zum sanft-temperierten Grundton der Art Unlimited.
Die Art Unlimited präsentiert, wie auch in den vergangenen Jahren, neben zeitgenössischen Kunststars wie Tracey Emin, Wolfgang Tillmans und Paul McCarthy auch klassische Positionen wie wie Sol LeWitt und Antoni Tàpies.
Eine der aufregendsten Arbeiten zur modernen Gesellschaft stammt bezeichnenderweise vom 1998 verstorbenen Schweizer Künstler Dieter Roth. Der in Basel beheimatete Roth sammelte «Flachen Abfall», also Joghurtdeckel, Schokoladenpapiere, zusammengefaltete Filmrollenschachteln und barg ihn sorgfältig in Klarsichthüllen, die wiederum unzählige Ordner füllten. Präziser lässt sich kaum zeigen, was das Wort Wegwerfgesellschaft eigentlich bedeutet.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 16.6.2016, 6:50 Uhr.