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Kunst Jules Decrauzat war als rasender Fotoreporter allen voraus

Als andere noch mit schweren Kameras in ihren Ateliers hantierten, ging der junge Jules Decrauzat raus: Er fotografierte die Dinge in Bewegung, fing Lebensgefühl und Alltag ein und wurde zum ersten Reportage-Fotograf der Schweiz. Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur widmet ihm eine Ausstellung.

In höllischem Tempo rast jemand auf seinem Motorrad über die Strasse – so schnell, dass das Vorderrad auf der Schwarz-Weiss-Fotografie einem Oval gleicht. Die Masten der Elektroleitungen scheinen zu wackeln und verschwinden im Hintergrund des Bildes in einer dichten Staubwolke.

Ganz nah dran

Mann geduckt auf einem Motorrad, am Strassenrand schauen Leute zu.
Legende: Ganz nah dran: Motorradrennen in Genf (Kilomètre lancé), 1919. Keystone / Photopress-Archiv / Jules Decrauzat

Der wilde Kerl auf dem Motorrad ist schick gekleidet, genauso wie die Zuschauer: mit korrekt gebundener Krawatte und eleganten Schuhen – ein Helm fehlt. Auch Abschrankungen waren überflüssig: Auf der Fotografie stehen die Zuschauer mit auf der Strasse, um das motorisierte Spektakel hautnah erleben zu können.

Der erste Reportage-Fotograf der Schweiz

Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Schweiz, ist begeistert vom 1879 geborenen Fotografen Jules Decrauzat: Die Action sei grossartig eingefangen. Denn: «Er bewegt sich ganz nah an den Szenen, die er fotografiert. Er taucht ein. Das ist Reportagestil im besten Sinne. Und er ist, das kann man heute sagen, der erste, der in dieser Art in der Schweiz fotografiert.»

Als Jules Decrauzat um 1910 für die Westschweizer Sportzeitung «La Suisse Sportive» zu arbeiten beginnt, sind die meisten Fotografen noch damit beschäftigt, statische, gestellte Portraits herzustellen. Jules Decrauzat entdeckte die Dynamik der Fotografie bereits als 18-Jähriger in Paris, nachdem er als 16-jähriger in Genf Bildhauerei studierte.

Buchhinweis

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Peter Pfrunder: «Jules Decrauzat. Der erste Fotoreporter der Schweiz», Echtzeit Verlag, 2015.

Symbol für den Glauben an die Zukunft

Jules Decrauzat will eine andere Art der Fotografie – eine, die unmittelbare Momente und Bewegung gleichsam einfriert. Gerade der Sport hat für Decrauzat ein unglaubliches Potenzial: vor allem die risikofreudigen Rennfahrer auf ihren Motorrädern und Autos und die waghalsigen Piloten in ihren fliegenden Kisten. Sie symbolisieren Aufbruch, Euphorie und einen ungebrochenen Glauben an die Zukunft.

Peter Pfrunder beschreibt Decrauzat als «Botschafter der Moderne in seinen Bildern» und als Optimist. Dieser Optimist ist 15 Jahre lang als Pionier der Fotoreportage für «La Suisse Sportive» im Reich des Sports unterwegs – teilweise auch als Komplize und Freund der Sportler, er sitzt gelegentlich mit ihnen im Auto oder im Flugzeug.

Sport war mehr als Leistung

Während Peter Pfrunder durch die Ausstellung geht, weist er immer wieder darauf hin, dass Jules Decrauzat zwar an der Darstellung von Tempo und Beschleunigung, von Kraft und eleganten Bewegungen interessiert war, dass er nebenbei aber auch die Zuschauer und Szenen aus dem städtischen und ländlichen Alltag ins Bild rückte: «Sport ist eben nicht nur Leistung, sondern auch ein sich zeigen. Häufig hat man das Gefühl man wohnt einer Modenschau bei. Die vermitteln etwas von dieser Modernität, etwas, was auch in vielen Bildern Thema ist.»

Sendung: Kultur kompakt, 3.6.2015, 7.15 Uhr.

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