Helle Gardinen bilden den Hintergrund, dezent gemustert und in sauberem Faltenwurf. Davor steht ein kleines Tischchen mit zwei gepolsterten Stühlen. Die Einrichtung verströmt den Charme der frühen 1960er-Jahre. Sie könnte sich im Wohnzimmer einer älteren Verwandten befinden. Oder in einem lange nicht mehr modernisierten Café irgendwo.
Doch nein, das biedere Interieur gehört zum ersten McDonald's in Kabul, der streng genommen kein richtiger McDonald's ist. Das Lokal wird nicht als Franchise-Betrieb der globalen Fastfood-Kette betrieben, es hat sich das berühmte Logo lediglich entliehen. Stark verpixelt prangt das grosse M auf der Speisekarte. So zieht ein leiser Hauch von grosser weiter Welt und unbegrenzten Konsum-Möglichkeiten durch das ordentliche kleine Café.
Zwischen Pepsi und Burka
Sandra Calligaro hat das selbstgemachte McDonald's-Lokal in Kabul im Bild festgehalten. Auf ihren Streifzügen durch die afghanische Hauptstadt fotografiert sie immer wieder Szenen und Momente aus dem Alltag eines Landes, das von Jahren des Kriegs und der Talibanherrschaft geprägt ist und in dem muslimische Traditionen und westliche Einflüsse überraschende Verbindungen eingehen.
Ihre Bilder zeigen verschleierte junge Frauen, die an einer übergrossen Pepsi-Werbung vorbeigehen. Junge Leute, die im Westen arbeiten und ihren Familien Szenen aus «Titanic» vorspielen. Und eine Frau in schwarzer Burka, die durch einen hell leuchtenden, westlich gestylten Supermarkt geht.
Der Supermarkt, der ausschliesslich Import-Waren verkauft, ist für Sandra Calligaro ein wichtiger Ausgangspunkt ihrer Recherchen geworden. Seit Jahren geht sie dort einkaufen. Vor einiger Zeit fiel ihr auf, dass sich die Kundschaft veränderte. Es kamen nicht mehr nur Ausländer und wohlhabende Afghanen in den Supermarkt, sondern immer mehr Durchschnittsbürger. Das hat sie interessiert und sie hat mit diesen Menschen Kontakt aufgenommen, sie fotografiert. Manche luden sie ein, in ihren Wohnungen zu fotografieren. Sie wussten ja, dass die Bilder nur im Ausland gezeigt werden.
Ein Sexfilm ohne Sex
Doch nicht nur die Menschen, auch die Waren, die im Supermarkt verkauft werden, geben einen tieferen Einblick in das Alltagsleben der Afghanen. Eine Aufnahme Sandra Calligaros zeigt das DVD-Regal ihres Supermarktes, auf dem Actionfilme und Diätratgeber angeboten werden, aber auch Filme über Hitler und Jesus und ein Film mit dem Titel «The Science of Sex Appeal». Ein Porno im Ratgebergewand?
Die Fotografin war neugierig. Sie hat die DVD gekauft und festgestellt, dass alle anzüglichen Szenen herausgeschnitten, alle tiefe Dekolletés und nackte Beine verpixelt worden waren.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 23.4.2015, 06:45 Uhr