Keine Branche hat die alpine Landschaft so verändert wie die Tourismusindustrie. Lois Hechenblaikner ist im Alpbachtal im Tirol aufgewachsen und hat die Geschwindigkeit, mit der das passiert ist, selbst miterlebt. Jetzt sagt er Sätze wie: «Diese visuellen Störzonen haben meine Seelenlandschaft massiv belastet.» Man ahnt, dass es nicht nur die visuellen Störzonen waren.
Lois Hechenblaikner ist in einem Gastrobetrieb gross geworden, verfügt über ein Wirtepatent und kennt das Metier von Innen: «Meine Mutter war etwas wie eine gastronomische Mutter Teresa. Sie war für alle da. Mich interessiert am Tourismus auch, was er mit den Menschen macht, mit den Einheimischen. Und wie das mit dem Gast ist, der oft auch eine Diva ist, der daherkommt und seinen seelischen Smog aus dem Alltag liegen lässt.»
Präziser Blick und spitze Zunge
Vor mehr als zwei Jahrzehnten entschied sich Lois Hechenblaikner, sein fotografisches Schaffen praktisch nur noch auf diese Themen auszurichten. Seither ist er mit der Grossbildkamera in seiner Heimat unterwegs und hält das fest, was viele gar nicht mehr sehen, weil sich das Auge längst daran gewöhnt hat: Durch den Skizirkus verletztes Gelände, planierte Matten und künstliche Seen für die Beschneiung. Mit Plastikfolien eingepackte Gletscherreste, Abfallberge und zu Freizeitparks umgebaute Konsumlandschaften. Oder eine Après-Ski-Berauschungsindustrie, der die ehemalige Bauernkultur nur noch als hohle Staffage dient.
«Damit der Gast funktioniert, muss man ihn zwischen 0.5 und 0.8 Promille einstellen», sagt Lois Hechenblaikner in seiner ironischen Art. Und ein Gast funktioniere dann, wenn er Geld liegen lasse: «Es gibt halt nicht so viele Gastgeber, sondern sehr viel mehr Gastnehmer.»
Vieles läuft schief
Lois Hechenblaikner wehrt sich dagegen, ein Schwarzmaler zu sein. Obwohl: die Sonne scheint auf seinen Bildern nie. Das Abbilden der Bilderbuch-Alpenwelt, erklärt der Mitfünfziger, überlasse er gerne den Werbefotografen. Er möchte mit seiner Arbeit Fragen stellen, Bruchlinien und Widersprüche aufzeigen – und er möchte die Dinge zum Besseren verändern.
«Es scheint, als ob jene, die die Landschaft durch Baumassnahmen verunstalten und einen ökonomischen Nutzen daraus ziehen, ganz abgetrennt sind von einer visuellen Wahrnehmung. Was man sieht, ist immer subjektiv. Durch fotografische Verdichtung möchte ich die Aufmerksamkeit auf das lenken, was schief läuft», so Hechenblaikner.
«Delirium alpinum»
Der Fotograf hat sich in seiner Heimat viele Feinde geschaffen. In der Schweiz stosse seine Arbeit auf mehr Verständnis, sagt er. Hier habe man nie so extrem auf die Masse gesetzt wie in Tirol, da der Tourismus in der Schweiz eine viel längere Geschichte habe mit einem reichen kulturellen Erbe.
Aber gegeneinander ausspielen mag er die Länder nicht. Der Schweizer Tourismus leide unter einer barocken Trägheit: «Manchmal habe ich hier das Gefühl, in ein Tiefkühlhaus zu treten, wenn ich in ein Restaurant komme. Als ob ich den Frieden stören würde.» Und punkto «Abfüll-Highways» und konstantem «Delirium alpinum» an Sportanlässen habe die Schweiz beträchtlich aufgeholt - mit Vorbild Tirol.