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Porträt (nah) von Manon. Sie trägt einen dunklen Pagenschnitt und einen Schal mit Tigermuster.
Legende: Manon, geboren als Rosmarie Küng, schockierte und faszinierte gleichermassen mit ihrer Kunst zur sexuellen Befreiung. SRF

Kunst Manon: Eine Frau macht sich selbst zum Kunstwerk

Die Schweizer Künstlerin Manon war eine Kultfigur der 1970er-Jahre. Sie brach Tabus und stellte sich selbst zur Schau. Mit dieser radikalen Kunst der Selbstinszenierung nahm sie vorweg, was heute aktuell ist in der Kunstszene.

Die 1970er-Jahre waren eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs, der sexuellen Revolution, des Feminismus. Das sind auch die Themen, die die Kunst von Manon prägen. Mit ihren erotischen Performances schockiert sie das Publikum, ihre fotografischen Selbstinszenierungen und ihre Installationen, in denen sie weibliche Intimität zur Schau stellt, lösen Unbehagen und Befremden aus.

Sex and Drugs and Rock’n‘Roll

Manon wird als Rosmarie Küng in Bern geboren und wächst in St. Gallen auf. Ihr Vater ist ein prominenter Wirtschaftsprofessor, ihre Mutter ein Mannequin. Nach der Kunstgewerbeschule in St. Gallen zieht sie nach Zürich und besucht dort die Schauspielakademie.

Sie wohnt in der Zürcher Altstadt, damals ein Treffpunkt der Künstler, der Bohème und der Halbwelt. Sie rebelliert gegen gutbürgerliche Werte, gegen ihre konservative St. Galler Herkunft als Tochter aus gutem Hause, sie lebt den Song «Sex and Drugs and Rock’n’roll» bis ins Extrem. Sie wird als Person und als Künstlerin zur Legende, zum Mythos.

Männer als Sexobjekte im Schaufenster

Manon sitzt in Kleidern auf einem opulent ausstaffierten Bett, in der Hand einen Stab.
Legende: Manon in ihrer Installation «Das lachsfarbene Boudoir». SRF

Als ihr erster künstlerischer Auftritt gilt 1974 die Installation «Das lachsfarbene Boudoir». Sie zügelt ihr eigenes Schlafzimmer in die Zürcher Galerie Li Tobler und präsentiert es als «Tempel der Wollust». Glamourös, frivol, opulent, wird es vom Publikum als schamlose Zuschaustellung weiblicher Intimität wahrgenommen.

Inspiriert vom Amsterdamer Rotlichtviertel, wo sie zum ersten Mal Prostituierte in Schaufenstern sah, kehrt sie 1976 den Spiess um. Sie stilisiert Männer zu erotischen Schauobjekten. Der Blick titelt empört: «Manon stellt lebende Männer aus und sagt: ‹Das ist Kunst!›» Das Publikum steht Schlange, um «Manon presents men» im Schaufenster der Galerie Jamileh Weber in Zürich-Höngg zu sehen.

Die Frau mit dem kahlen Kopf

Es bricht eine eigentliche Manon-Manie aus. Sie ist überall in den Schlagzeilen. Diese Aufmerksamkeit ist ihr zuviel und führt zu einem Bruch, der sich auch äusserlich zeigt: 1977 lässt sie sich den Kopf kahl rasieren – damals eine Sensation – und flüchtet nach Paris.

Drei Jahre bleibt sie dort, es ist eine äusserst produktive Zeit. Sie entdeckt für sich die inszenierte Fotografie. Es entstehen die surrealistisch anmutende Fotoserie «La dame au crane rasé» (1977/78) sowie «Elektrokardiogramm 304/303» (1978) und «Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte» (1979).

Das Rollenspiel ist eine neue wichtige Ausdrucksform von Manon: 1980 entsteht die Fotoserie «Ball der Einsamkeiten», eine ihrer eindrücklichsten Arbeiten. Manon präsentiert 37 Alter Egos vor düsterem Hintergrund auf dem immer gleichen Sofa, vom Hippie-Mädchen bis zur gestressten Putzfrau.

Die Schaffenskrise

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Nach dieser intensiven Zeit kommt es zur Krise. Wie so viele andere in diesen wilden Jahren ist auch Manon drogenabhängig. Es dauert sieben Jahre, bis sie den Entzug schafft und wieder als Künstlerin weiterarbeitet.

1990 kehrt sie zurück und zeigt im Kunstmuseum St. Gallen die Installation «Damenzimmer» und die Fotoserie «Künstler Eingang». Sie ist nicht mehr die junge Rebellin, sondern eine reife Frau, die wie so viele andere auch mit dem Älterwerden ihre Mühe hat. So wendet sie sich jetzt dem Spannungsfeld Jugendwahn und Vergänglichkeit zu.

Schicksal einer Schönheitskönigin nachgespürt

Manon arbeitet bis heute kontinuierlich an ihrer Kunst weiter. Es entstehen immer wieder Werke, die zwar nicht mehr skandalträchtig, aber von grosser Ausdruckskraft sind. Noch immer geht es um weibliche Identität, beispielsweise im eindrücklichen Fotozyklus «Einst war sie Miss Rimini» (2003). Darin spürt sie dem fiktiven Schicksal einer ehemaligen Schönheitskönigin nach, indem sie in 50 verschiedene Rollen schlüpft: von der Lebedame eines gewissen Alters bis zur Krebspatientin.

Ihre letzte Fotoserie «Hotel Dolores» umfasst gegen 200 grossformatige Bilder. Fast obsessiv pilgert die Künstlerin drei Jahre lang wöchentlich in die stillgelegten, abbruchreifen Hotels «Verenahof», «Ochsen» und «Bären» nach Baden. Fasziniert vom verblassten Glanz vergangener Zeiten sind diese Bäderhotels für sie eine unerschöpfliche Inspirationsquelle.

Eine Vorreiterin

Manon hat für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem 2008 den Prix Meret Oppenheim. Am 30. November dieses Jahr wird ihr Schaffen mit dem Grossen St. Galler Kulturpreis gewürdigt.

Manon hat mit ihrer Kunst nachhaltig gewirkt. Der Einfluss auf die jüngere Generation von Künstlerinnen ist deutlich spürbar. Ihre Art der Selbstinszenierung in den frühen Jahren hat vieles vorweg genommen, was heute aktuell ist.

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