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Kunst ohne Kompromisse Helen Dahm und die Lust am Zickzack

Die Schweizer Künstlerin Helen Dahm hat sich nicht festlegen lassen. Das klingt gut. Ist aber ein Problem, wenn es um die Karriere geht.

Ihr Leben hat das Zeug zum Abenteuerroman. Helen Dahm wurde 1878 im Thurgau geboren und haute mit knapp 30 Jahren nach München ab, um Künstlerin zu werden. Ihr Coming-Out hatte sie da schon hinter sich.

Später suchte sie in Indien den Sinn des Lebens – lange vor den Hippies. Und fand als alte Dame mit fast 80 Jahren zur Abstraktion.

Ein Gemälde: eine Frau bläst Seifenblasen.
Legende: Helen Dahm, Selbstbildnis mit Seifenblasen, 1952, Hinterglasmalerei. Kunstmuseum Thurgau

Sie pfiff auf Konventionen

Richtungsänderungen und Kehrtwenden kennzeichnen nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Kunst. Das ist in der grossen Retrospektive im Kunstmuseum Thurgau zu sehen: Helen Dahm entdeckte gerne Neues und änderte ihre Malweise häufig.

«Ihr Werk beginnt in der Spätromantik und geht bis zum action painting», sagt Stefanie Hoch, die Kuratorin der Schau. Dass diese Entwicklung nicht linear verlief, zeigt die Retrospektive.

Abstraktes Gemälde mit Blauen, weissen und roten Fläschen.
Legende: Helen Dahm, ohne Titel, undatiert, 55 x 42 cm, ungerahmt, Privatbesitz. Helen Dahm Gesellschaft, Oetwil am See

Zu sehen sind in einer losen Chronologie spätromantische Sturmlandschaften, expressionistische Holzschnitte, Blumenbilder und Landschaften. Und dann: abstrakte Farbexplosionen.

Doch Helen Dahms Werk kulminierte nicht in der Abstraktion. Die Künstlerin kehrte danach zum Gegenständlichen zurück.

Gemäle mit roten Mohnblumen
Legende: Helen Dahm, Mohn, 1911, Öl auf Leinwand, 68 × 88,5 cm, Privatbesitz, Helen Dahm Gesellschaft, Oetwil am See / Foto: SIK-ISEA, Zürich

Das mag überraschen, ist aber bloss einer von vielen Widerhaken im Werk von Helen Dahm. Es gibt noch andere: Etwa, dass sie nach einigen Jahren ihre expressiven Blumenstilleben und Landschaften aufgibt und sich christlichen Motiven widmet.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Helen Dahm: Ein Kuss der ganzen Welt» ist noch bis zum 25. August 2019 im Kunstmuseum Thurgau in Warth zu sehen.

Problemfeld religiöse Malerei

Die Auferstehungen und Himmelfahrten hätten ihr Umfeld und ihre Käufer vor den Kopf gestossen, sagt Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau. Kommt dazu: Wer religiöse Bilder malt, wird nicht als ernstzunehmende Künstlerin wahrgenommen, sondern wirkt naiv.

Helen Dahm hat das nicht gekümmert. Die Suche nach dem grossen Zusammenhang und dem Wesen der Dinge beschäftigte sie ihr ganzes Künstlerinnenleben. Und führte sie immer wieder zu unkonventionellen Entschlüssen.

Gemälde: Kakteen auf einem Fensterbrett
Legende: Helen Dahm, Fenster mit Kakteen, 1926, Öl auf Leinwand, 67 × 93,5 cm, Privatbesitz, Helen Dahm Gesellschaft, Oetwil am See / Foto: SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)

Sinnsuche in Indien

Mit 60 Jahren wanderte Helen Dahm aus und folgte ihrem Guru in ein Ashram. 1939, ein Jahr später, kehrte sie in die Schweiz zurück. Ob sie enttäuscht wurde? Darüber schwieg sie.

Nach den vielen Haken und Kehrtwenden wurde Helen Dahm als alte Dame mit dem Zürcher Kunstpreis ausgezeichnet. Sie war 1954 mit knapp 80 Jahren die erste Frau, die diese Auszeichnung erhielt. Das Abenteuer der Abstraktion hatte sie da noch vor sich.

Schnell vergessen

Die Auszeichnung machte sie berühmt. Sie gab Interviews im «Blick», empfing das Schweizer Fernsehen in ihrem Häuschen in Oetwil und inszenierte sich als skurrile Einsiedlerin, die ihr Leben der Kunst geopfert hatte.

Bald nach ihrem Tod 1968 wurde sie vergessen. Zu viel Zickzack. Zu viele Kehrtwenden. Die vielen Widersprüche der Helen Dahm und ihr Werk sind jetzt wiederzuentdecken.

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