«Dieser Duktus! Diese Farben! Kraftvoll! Rhythmisch!» Pablo Picasso löst Begeisterungsstürme aus, als er im Jahr 1901 seine Gemälde in einer Pariser Galerie ausstellt. So zumindest stellt die «Graphic Novel» den jungen Maler dar, wie er seine ersten Erfolge verbucht. Gleichzeitig muss er auch Enttäuschungen hinnehmen.
Herkömmliche Klischees
Der junge Picasso steht mit nacktem Oberkörper vor der Staffelei und malt. Er trinkt mit seinen Künstlerfreunden viel Schnaps und Rotwein. Regelmässig empfängt er Damenbesuch und wechselt die Frauen unbedacht wieder aus. Die gängigen Klischees über das ausschweifende Künstlerleben sind in dieser «Graphic Novel» klar wiedergegeben. Darüber hinaus lassen sich aber auch berührende und ergreifende Szenen finden.
Verflochtene Erzählung
Die Geschichte von Fernande Olivier, die von 1904 bis 1912 Picassos Geliebte war, wird parallel zu Picassos Biografie erzählt. Die uralte Dame lässt die alten Zeiten Revue passieren.
Mit dieser subjektiven Sicht werden der weltberühmte Maler und die Bohème-Szene nicht etwa verklärt dargestellt, sondern lebensnah und mit komischen Marotten.
Tragikomische Dialoge
Das französische Comic-Autorenpaar Julie Birmant und Clément Oubrerie entmystifizieren das noch kleine «Genie» Picasso mit spitzzüngigen Darstellungen.
Claudia Sandberg hat die Graphic Novel übersetzt. Ihr gefällt das Tragikomische in den Dialogen. Zum Beispiel, als Picasso nach dem Winter 1901 aus seiner Heimat zurück nach Paris zu seinen Künstlerfreunden kommt. Erst jetzt erfährt er, dass sein bester Freund vor Monaten aus Liebeskummer Selbstmord begangen hat. Die Freunde trinken schon um acht Uhr morgens Calvados und rekonstruieren den tragischen Zwischenfall äusserst lakonisch.
Picasso als Comicfigur?
Höhenflüge, Sinneskrisen und Liebesgefühle in Picassos Leben als Comic-Roman: Würde sich Pablo Picasso in seinem Grab umdrehen, wenn er ihn in die Händen bekäme? Zumindest einen Wutausbruch würde er kriegen, meint Nina Zimmer. Sie ist die Kuratorin der Ausstellung «Die Picassos sind da!» im Kunstmuseum Basel.
Vergeblich sucht man in dieser Graphic Novel Picassos Kunstphasen - seine Blaue und Rosa Periode oder den Beginn des Kubismus’ – die kunsthistorischen Abhandlungen bleiben gänzlich aus. Picassos Gemälde werden bloss winzig-undeutlich und schattenhaft angedeutet. Vielmehr kommen soziokulturelle Geschichten aus Paris um die Jahrhundertwende zum Ausdruck. Deswegen lohnt sich diese sehr anregende, reich ausgeschmückte und schön herausgearbeitete Unterhaltungslektüre.
Fortsetzung folgt
Im kommenden Herbst wird der zweite von insgesamt vier Comic-Bänden im Reprodukt-Verlag auf Deutsch erscheinen. Er heisst «Pablo – 2. Apollinaire» und setzt die Geschichte von Picasso und seiner ersten Muse Ferdinande Olivier fort.